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Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk C. Fleck
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dem Jahr 1982 endete eine Staatsgrenze dort, wo ein Festlandsockel geologisch in den Tiefseeboden überging, vier- bis fünftausend Meter unter dem Meeresspiegel. Um diese Grenze zu bestimmen, hätte es aber eines gewaltigen wissenschaftlichen Aufwandes bedurft, den die Anrainerstaaten bisher immer gescheut hatten. Also stützten die USA, Dänemark, Norwegen und Kanada ihre Ansprüche auf die Tatsache, dass sich in dem von Moskau reklamierten unterseeischen Lomonossowrücken lang gestreckte Tiefseebecken befanden, die sich geologisch vom Rest des Sockels unterschieden und mithin nicht zum Territorium Russlands gezählt werden konnten.
    Dem amerikanischen Präsidenten Geoffrey Hurst ging die joviale, gönnerhafte Art seines russischen Gastgebers auf den Geist. Dass Nowikov sie ausgerechnet in den Liwadijapalast geladen hatte, empfand er als Provokation. Was hatte die legendäre Jaltakonferenz, auf der Franklin D. Roosevelt, Winston Churchill und Josef Stalin im Februar 1945 das Nachkriegseuropa unter sich aufgeteilt hatten, mit diesem Treffen zu tun? Zwar schlichen die Beteiligten auch hier wie Raubtiere um die Beute, aber eine allgemeine Siegermentalität, wie sie damals unter den drei Staatschefs festzustellen war, gab es nicht. Heute gab es einen Gewinner, Russland, und drei Verlierer, die sich zudem noch untereinander misstrauten.
    Hurst, der seine Wiederwahl allein den großzügigen Spenden der Energiewirtschaft zu verdanken hatte, empfand den Umgang, den der russische Präsident mit ihm pflegte, als persönliche Demütigung. Wieder einmal durfte er erfahren, wie gering sein Gegenspieler das politische Gewicht der USA einschätzte. Von allen fünf Bundesländern, die sich in den letzten Jahren aus dem Verbund der Vereinigten Staaten gelöst hatten, war der Verlust Alaskas am schmerzlichsten gewesen. Die USA besaßen jetzt keinen direkten Zugang zum Nordpolarmeer mehr. Jetzt rächte sich, dass Hurst nicht unmittelbar nach der Unabhängigkeitserklärung, wie von den Energiemultis empfohlen, in die aufsässige Enklave einmarschiert war. Dass sich Alaska jetzt auch noch den URP angeschlossen hatte, machte die Sache nicht einfacher.
    Die Verhandlungen um die Zugriffsrechte auf die Ressourcen der Arktis waren ins Stocken geraten. Dem russischen Präsidenten machte das keine Sorge. Nach dem Mittagessen bat er zu einem Umtrunk ins Kaminzimmer. Unter dem Wandteppich mit dem geknüpften Bild der letzten Zarenfamilie, die den Palast als Sommerresidenz genutzt hatte, versuchte der Russe seine Gäste bei Laune zu halten, was mitunter peinliche Züge annahm. Zu allem Überfluss bestand Dimitri Nowikov darauf, dass sich die Teilnehmer dieses Treffens im italienischen Innenhof des Palastes zu einem Gruppenfoto versammelten, und zwar genau an der Stelle, wo sich die Führer der Alliierten 1945 nach der erfolgreichen Winteroffensive der Roten Armee hatten ablichten lassen. Alles sollte genauso aussehen wie damals.
    Die Zeit bis zum Eintreffen der Vorstandsvorsitzenden von PR (Petrol Russia) und Global Oil verbrachten die Präsidenten bei herrlichstem Sonnenschein auf der Veranda, die dem Arbeitszimmer des Zaren Nikolaus II. vorgelagert war. Henrik Bastrup und sein kanadischer Kollege Peter Norfolk hielten sich beim Trinken auffällig zurück, doch Geoffrey Hurst wusste inzwischen, wie man mit dem russischen Nationalgetränk umzugehen hatte: ein Glas Wodka, zwei Gläser Wasser, so blieb man relativ lange nüchtern. Die Russen wussten einen handfesten Trinkkumpan noch immer zu schätzen, vielleicht lag hier der Schlüssel zu einem besseren persönlichen Verständnis.
    »Die Alaskafrage, Geoffrey …«, sagte Nowikov und knallte Hurst seine Hand auf die Schulter. »Kommen wir doch mal darauf zurück, das interessiert mich. Warum unternehmt ihr da nichts? Wenn das bei uns passiert wäre, schwupp!, und der Spuk hätte ein Ende …«
    »Dimitri«, antwortete Hurst und lehnte sich unauffällig zurück, um der lästigen Berührung zu entkommen, »schwupp funktioniert bei uns nicht.«
    »Und ob es funktioniert, Geoffrey. Ihr habt doch die letzten dreihundert Jahre nichts anderes gemacht, oder irre ich mich?« Er blickte Bastrup und Norfolk an: »Die haben doch nichts anderes gemacht, oder irre ich mich etwa? Sa sdorowje, Geoffrey, ich wollte Sie nicht unterbrechen.«
    Hurst wäre am liebsten aufgestanden und abgereist. Aber einen Affront konnte er sich nicht leisten. Wegen seiner Alaskapolitik galt er als Zauderer. In seiner eigenen

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