Das Südsee-Virus
folgte der Aufforderung sofort, während die Jungs zunächst duschen wollten.
Kaum dass Maeva die Tür geöffnet hatte, fiel sie ihm um den Hals. Sie begrüßte ihn wie jemanden, den man für verschollen gehalten hatte und der nun unversehens aufgetaucht war. Cording ließ sich ihre geschmeidige Umarmung gerne gefallen, fragte sich aber unwillkürlich, was sie zu einem derartigen Gefühlsausbruch bewegen mochte. Während er den betörenden Duft ihrer Haare inhalierte, entdeckte er über ihre Schulter hinweg einige tätowierte Gestalten, die sich lachend am Esstisch des vom Eingang einzusehenden Diningrooms niederließen. Da Maeva noch immer an ihm festhielt, konnte er sich nur ein unvollkommenes Bild von der Situation machen.
»Es sind Rudolfs Männer«, flüsterte Maeva. Sie löste sich aus der Umarmung und blickte ihn aus feuchten Augen an.
Cording vermochte ihren Gemütszustand nicht zu beurteilen. Weinte sie Freudentränen oder Tränen der Wut? Rührte sie die Tatsache, dass die URP ihr eine tahitianische Leibgarde zugeordnet hatten, oder witterte sie eine Finte? Er wusste um das angespannte Verhältnis zwischen Omai und Maeva. Es konnte also gut sein, dass sie vermutete, ihr Bruder würde sie bewusst unter Beobachtung stellen. Musste aber nicht sein.
Er legte Maeva den Arm um die Schulter und schlenderte mit ihr ins Esszimmer. Als Rudolf sie kommen sah, sprang er auf und drückte Cording zur Begrüßung seine mächtige Faust aufs Herz. Mein Gott, fühlte sich das gut an! Cording musste schlucken. Da stand er vor ihm, dieser tätowierte sanfte Koloss mit der Muschelkette um den Hals und sagte kein einziges Wort. War nicht erforderlich. Die Tahitianer verstanden sich darauf, den kostbaren Momenten des Lebens Raum zu geben und sie nicht mit unnötigen Floskeln zu beschweren.
Cording nahm neben Maeva Platz, die der bunten Tafel an der Stirnseite vorsaß. Sie hatte sich gefasst und fühlte sich zunehmend wohler in der Runde ihrer Krieger, die sich gerne von dem kostbaren Champagner nachschenken ließen, den der Butler mit stoischer Grandezza servierte. Es wurde ein langer, feuchtfröhlicher Abend.
Kapstadt, 16. November 2028
Maevas Zusage an die Energieagenturen war leichtsinnig und birgt erhebliche Gefahren. Sie weiß das, deshalb will sie auch nicht darüber sprechen.
Von Anthony Burgess erfahren wir soeben, dass die Ödnis bei Milnerton, die sich wenige Kilometer westlich landeinwärts erstreckt, von den Behörden als Versammlungsort infrage gestellt wird. Der Stadtverwaltung von Kapstadt ist die Nähe zum Melkbosstrand, wo sich das Kernkraftwerk Koeberg befindet, anscheinend zu heiß geworden. Eine Ausweichmöglichkeit wurde den Demonstranten bisher nicht genannt. Es darf bezweifelt werden, ob dieses Verwirrspiel, das ganz offensichtlich darauf angelegt ist, die Protestwilligen zu verunsichern, klug ist. Sieht so aus, als ginge die Regierung bewusst auf Konfrontationskurs.
Shark berichtet, dass es in den letzten Tagen in der Region mehrere Anschläge auf unterirdisch verlegte Glasfaserkabel gegeben hat. Große Teile Südafrikas und Kapstadts sind vom Internet abgeschnitten. An Zufall mögen weder er noch ich glauben. Ohne das Internet sind die Menschen am Kap auf die konventionellen Medien angewiesen, die scheinen aber allesamt von der Atomindustrie gekauft zu sein. Das Militär kontrolliert bereits jetzt alle Ausfallstraßen. Ab Mitternacht gilt das Kriegsrecht, dann ist Kapstadt eine geschlossene Stadt. Der morgige Tag – ich kann ihn fühlen: Er ist schreiend laut und schmeckt nach Blut …
Die Kundgebung fand im Pelikan Park im Süden Kapstadts statt, einem fünfhundert Meter breiten, bis an den Ozean reichenden lang gezogenen Schlauch, eingeklemmt zwischen künstlichen Seen im Westen und der M 17 im Osten. Aus der Hubschrauberperspektive sah es aus, als hätte man die Demonstrationsmasse in eine rechteckige Kuchenform gegossen und am Rande der Stadt umgestülpt.
Cording verließ die Maschine als Erster. Maeva wurde von Rudolf und seinen Kriegern eskortiert, die ihr problemlos einen Weg durch die Pressemeute bahnten. In dem Rundzelt hinter der Bühne warteten Dutzende von Musikern, Tänzern und Rednern auf ihren Auftritt. Für Maeva hatte die IAEA ein eigenes Zelt im Schatten einer kräftigen Zeder reserviert. Die Bevorzugung war ihr unangenehm, und so gesellte sie sich zu jenen, die wie sie ungeduldig auf ihren Auftritt warteten.
Hinter der Plane herrschte eine angespannte Atmosphäre. Kaum
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