Das Sühneopfer: Historischer Kriminalroman (Schwester Fidelma ermittelt) (German Edition)
eindeutig deinem Bruder. Also muss er auch eine Erklärung dafür haben. Wir können nur hoffen …« Er hielt erschrocken inne und setzte erneut an. »Sowie es ihm besser geht, müssen wir ihn danach fragen.«
Fidelma schwieg einen Augenblick, stimmte ihm aber zu. »Du hast recht. Sobald es möglich ist, werde ich ihm die Frage stellen.«
Sollte Colgú den Angriff nicht überleben, würde man ihn nicht fragen können, dachte Eadulf im Stillen und hatte bei der Vorstellung sofort ein schlechtes Gewissen.
»Mir geht da noch etwas anderes durch den Kopf«, fing Fidelma zögernd an. »Ich glaube, man sollte dem Punkt nachgehen, den Luan erwähnte.«
»Du meinst, dem Gedanken, der Attentäter könnte sich während des Regens irgendwo in der Siedlung aufgehalten haben und wäre erst zur Burg hinaufgekommen, als das Unwetter vorbei war?«
»Genau so. Wenn er nach Cashel ritt, muss er irgendwo einen Platz gefunden haben, um sein Pferd unterzustellen und sich umzuziehen. Und war er in Wirklichkeit kein Mönch, könnten uns seine Kleider Aufschluss geben. Bleibt die Frage, ob er sich in einem Gasthaus aufhielt oder ob ihm ein Mitverschwörer Unterschlupf bot.«
»Irgendwie werden wir das Rätsel schon lösen.«
Eadulf blickte zum Fenster. Draußen wurde es allmählich hell, und er blies die Kerze aus. Zum Schlafen war es nun endgültig zu spät, auch kam schon Leben in die Burg. Fidelma erhob sich vom Bett. Eadulf atmete tief durch – es würde ein langer Tag werden.
Vor den Türen, die in Colgús Privatgemächer führten, stießen sie auf Bruder Conchobhar. Zwei von Cashels Elitekriegern, Dego und Aidan, die Fidelma und Eadulf wohlbekannt waren, hielten draußen mit unbeweglicher und ernster Miene Wache.
»Wie sieht es aus?«, fragte Fidelma den alten Arzt.
»Er ist bei Bewusstsein, hat aber starke Schmerzen. Die Nacht war schlecht, doch Gott sei Dank hat er kaum Fieber.«
»Ist er in der Lage zu sprechen?«
Der alte Mann war über die Frage nicht sehr erbaut. »Wir sollten jede Anstrengung und Aufregung vermeiden. Die Verletzung ist erheblich, insofern ist unbedingte Ruhe angeraten.«
»Es geht mir nur um eine Frage. Ich halte mich daran, nur eine Frage.«
Bruder Conchobhar kannte beide, Fidelma und ihren Bruder Colgú, seit deren frühester Kindheit. Schon vor ihrer Geburt hatte er bei ihrem Vater Failbhe Flann, als der Muman regierte, in Diensten gestanden und bis zu dessen Tod an seinem Krankenbett gewacht. Er wusste, wenn Fidelma auf ihrem Anliegen beharrte, war es dringend und duldete keinen Aufschub. Zögernd gab er ihrer Bitte nach.
»Aber wirklich nur eine Frage«, mahnte er.
»Du gehst am besten allein«, riet ihr Eadulf. »Wir sollten ihn nicht mit unnötig vielen Menschen ermüden.«
Fidelma machte einen Schritt auf die geschlossenen Türen zu, und Dego drückte die Klinke herunter, um ihr Einlass zu gewähren. Sie nahm alle Kraft zusammen und ging hinein. Leise schloss Dego die Tür hinter ihr.
Eadulf wandte sich an Bruder Conchobhar. »Ich vermute, niemand hier in der Burg kennt Colgú so gut wie du.«
Der alte Arzt und Apotheker lächelte versonnen. »Dasstimmt wohl, aber keinem ist es vergönnt, alle Gedanken, Gefühle und Handlungen eines Mitmenschen zu durchschauen.«
Eadulf musste den Vorbehalt gelten lassen.
»Du weißt, dass der Attentäter, ehe er zustach, ›Rache für Liamuin!‹ rief?«
Bruder Conchobhar nickte.
»Hast du eine Idee, was er damit gemeint haben könnte?«
»Nein. Ich habe den Namen noch nie gehört. Aber wahrscheinlich ist das die Frage, die Fidelma ihrem Bruder stellen will. Tut mir leid, ich kann da nicht helfen.«
»Dann können wir nur hoffen, dass Colgú mit seiner Antwort weiterhilft.«
Fidelma durchquerte den großen Raum, in dem ihr Bruder gewöhnlich seine Ratgeber, Familienmitglieder oder engere Freunde empfing. Von der Feuerstelle verbreiteten prasselnde Holzscheite eine wohltuende Wärme. Sie ging hinüber zur Tür, die zum Schlafgemach führte. Ein Bediensteter, der davorsaß, stand nervös auf, doch Fidelma bedeutete ihm, sich wieder zu setzen. Behutsam öffnete sie die Tür und betrat leise das Zimmer.
Colgú lag mit fest bandagierter Brust im Halbdunkel auf dem Bett. Er sah blass aus, Schweißperlen standen ihm auf Stirn und Wangen, selbst das feuerrote Haar war nass und klebte auf Stirn und Schläfen. Die Lippen waren blutleer, und er atmete unregelmäßig, es war mehr ein stoßartiges Keuchen.
Als sie zu ihm ans Bett trat, schien er ihre
Weitere Kostenlose Bücher