Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
Sprachen und sah Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern mit heller und dunkler Hautfarbe, mit schwarzem und blondem Haar. Der Anblick war bunter und vielfältiger als in so mancher großen Stadt, durch die Jana und ihre Gefährten in den letzten Wochen gezogen waren.
Das Gasthaus von Bedrichs Onkel war ein kleines Fachwerkhaus, das über und über mit wildem Wein bewachsen war. Der alte Mann weinte vor Freude, als er seinen Neffen erblickte.
In einem gepflegten Garten hinter dem Haus gediehen Gemüse und Obst, das in der Küche zu köstlichen Gerichten verarbeitet wurde. Jana wusste sofort, dass Bedrich sich hier wohl fühlen würde, und diese Gewissheit machte ihr den Abschied leichter.
»Ich werde dich vermissen«, sagte sie und bemühte sich, die Tränen hinunterzuschlucken.
»Ich dich auch«, erwiderte Bedrich. Er nahm Jana noch einmal in den Arm, und sie vergrub ihr Gesicht in seiner Schulter. Wie immer roch er nach gebratenem Speck und Zwiebeln vom Frühstück, Jana würde den Geruch ebenso vermissen wie den Freund selbst. Innerhalb weniger Augenblicke zogen die Erinnerungen an die letzten Jahre an ihr vorbei. Wann immer Jana in Schwierigkeiten geraten war, Bedrich war an ihrer Seite gewesen und hatte versucht, ihr zu helfen. Er war ein Fels in der Brandung gewesen, der Freund, auf den sie sich immer verlassen hatte, und nun ging sie fort von ihm, um nach einem Manuskript zu suchen, das es vielleicht gar nicht gab.
»Meinst du, ich mache einen Fehler?«, fragte Jana zaghaft.
Bedrich löste sich aus der Umarmung und trat einen Schritt zurück.
»Fragst du mich ernsthaft, ob ich deine Entscheidung für einen Fehler halte? Was willst du? Meinen Segen? Willst du, dass ich zu dir sage: Liebe Jana, bitte geh in die weite Welt hinaus mit einem Mann, den ich nicht ausstehen kann, und suche nach einem Buch, das vielleicht bloß ein Witz ist, so wie die Pergamentbögen dieses arroganten Arztes?«
Bedrich machte eine Pause, bevor er fortfuhr: »Vielleicht bin ich nicht so intelligent wie der Arzt und vielleicht auch zu gutmütig, aber meinen Segen kriegst du nicht. Es ist schlimm genug für mich, dich gehen zu lassen. Bitte verlang nicht von mir zu sagen, dass es richtig ist, was du tust, denn aus meiner Sicht ist es das nicht. Die Folgen deiner Entscheidung musst du ganz allein tragen.«
Jana wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen und schniefte.
»Ich liebe dich«, sagte sie. »Ich liebe dich, wie man nur seinen besten Freund lieben kann, und ich hoffe, dass wir uns irgendwann wiedersehen.«
Damit drehte sie sich um und ging zu ihrem Pferd. Sie hörte nicht mehr, wie Bedrich den kleinen Sebastian fragte, ob er bleiben wolle, und bekam auch nicht mit, dass der Junge sehr gern geblieben wäre. Er wollte aber unbedingt zuerst zu seiner Mutter, versprach Bedrich jedoch, gemeinsam mit ihr zurückzukehren, falls sie damit einverstanden war.
Jana blieb einfach auf Marie sitzen, streichelte dem Tier über den warmen Hals und wartete, bis die Tränen versiegten.
Als sie endlich davonritten, winkte sie Bedrich ein letztes Mal zu, aber sie sah ihn nicht mehr an, sondern starrte auf das mit Wein überwucherte Fachwerkhaus hinter ihm. Die nächsten Stunden verbrachte sie schweigend, weder Sebastian noch Pfeiffer versuchten, sie aus ihrer Trauer zu holen. Beide spürten, dass jeder Versuch vergeblich gewesen wäre.
Limoges
I HRE LANGE R EISE GING nun weiter in den Südwesten. Der direkte Weg nach Bordeaux hätte über das Zentralmassiv geführt, aber weder Pfeiffer noch Jana verspürten große Lust, die Pässe zwischen den hohen Gipfeln, die sich unter der sommerlichen Dunstglocke vor ihnen aufbauten, mühsam zu überschreiten. Die steilen Felswände, schroffen Bergspitzen und gefährlichen Schluchten wirkten bereits aus sicherer Entfernung bedrohlich genug. An manchen Hängen waren noch weiße Flecken zu sehen, Reste des winterlichen Schnees, der selbst in den warmen Sommermonaten nicht ganz schmolz.
»Ich habe meine letzte Reise über die Alpen noch gut in Erinnerung«, sagte Pfeiffer. »Wenn wir es vermeiden können, sollten wir das Massiv umgehen und bloß einen Ausläufer überqueren. Ich denke, das wird schon anstrengend genug.«
Sie schlugen also einen Bogen und ritten nach Westen, kamen über die Loire und ließen Vichy südlich liegen. Dann wichen sie dem Puy de Dome, einem hohen Vulkanberg, aus und ritten an der Vienne entlang bis nach Limoges.
Obwohl Sebastians Esel das
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