Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
dem Menschenmeer auftauchen. Auf einmal kam ihm Ferdinand schwach und hinfällig vor, er war in den letzten Jahren offenbar nicht nur abgemagert, sondern auch kleiner geworden. Ob der Freund überhaupt in der Lage war, Jana notfalls auch mit dem Einsatz von Körperkraft zu retten? Die ganze Sache war riskant, aber nun gab es kein Zurück mehr. Conrad winkte Ferdinand kurz zu, und dieser nickte zur Bestätigung.
Nun hieß es für Conrad, dem das Herz vor Aufregung fast aus der Brust springen wollte, geduldig zu warten, auf die härteste Aufgabe seines Lebens. Immer wieder wurde er zur Seite gedrängt, weil Menschen zum Gewürzstand wollten, und auch der Kaufmann wurde ungeduldig, weil Conrad ständig im Weg stand, ohne etwas zu erstehen. Er fuhr den lästigen Störer unhöflich an und bedeutete ihm, zu verschwinden.
Da begann die Kirchturmuhr die zehnte Stunde zu schlagen. Laut und metallig tönten die Schläge über den Köpfen der Menschen hinweg. Conrad zählte mit und starrte gebannt zur Kirche, wo Ferdinand sich gerade mit zwei Frauen unterhielt. Warum zum Teufel tat er das? Er sollte doch nach Jana Ausschau halten!
Genau in dem Moment, als der zehnte Schlag erklang, trat sie aus einem kleinen Seiteneingang der Kirche, den Conrad zuvor nicht wahrgenommen hatte. Sie war blass und sah erbärmlich aus, und Conrad schluckte hart. Hinter Jana ging ein Mönch mit gesenktem Kopf, der nicht Teil des Plans gewesen war. Nun begann laut das Glockengeläut, aber Conrad schaute gebannt zu Jana und Ferdinand hinüber.
Er sah, wie der Freund blitzschnell Janas Hand ergriff und sie vor die beiden Frauen zog, mit denen er sich eben noch angeregt unterhalten hatte. Die wirkten überrascht und verwirrt, als Ferdinand nun mit Jana die Stufen hinuntereilte und sich schnurstracks in die Menschenmenge stürzte. Kopfschüttelnd starrten sie den beiden nach, während oben neben der Kirche der Mönch plötzlich einen Bogen in der Hand hielt und damit auf etwas zielen wollte, was nicht mehr da war.
Eine der Frauen zeigte mit dem ausgestreckten Arm auf die Waffe und schrie laut und schrill auf. Entsetzen lag in ihrer Stimme, und Passanten drehten sich nach ihr um. Sofort ließ der Mönch den Bogen wieder unter seiner Kutte verschwinden und drängte sich ebenfalls ins Menschengewühl. Doch er suchte vergebens, denn Ferdinand und Jana waren längst darin untergetaucht. Conrad sah Janas helles Kleid am anderen Ende des Platzes aufblitzen, und kurz darauf war sie in einer der Seitengassen verschwunden.
Aus den Augenwinkeln nahm er nun neben sich einen weiteren Mönch wahr. Er trug eine dunkle Kutte und hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Ein eigenartiger Geruch ging von ihm aus, ähnlich wie jener letzte Nacht.
Conrad reagierte schnell. Rasch legte er das Buch und ein kleines Säckchen mit dem Anhänger auf den Tisch des Gewürzhändlers, drehte sich um und lief so schnell davon, wie das in der dichtgedrängten Menschenmenge möglich war. Er riskierte einen Blick zurück und sah, wie eine fingerlose Hand das Buch an die dunkle Kutte presste. Das Gesicht des Mannes konnte er nicht sehen.
Rasch eilte er weiter, jeder Augenblick war kostbar. Conrad duckte sich hinter eine dicke Marktfrau, und die stieß ihm verärgert den Ellbogen in die Rippen. Conrad beschimpfte sie in seiner Muttersprache, drängte sich zwischen zwei Kindern hindurch und achtete ständig darauf, dass jemand vor oder dicht neben ihm stand. Ein dürrer Mann mit üblem Mundgeruch versuchte ihn aufzuhalten, aber Conrad riss sich los, schüttelte die knochige Hand ab und machte einen großen Schritt zur Seite. Er zwängte sich zwischen ein Liebespaar und trat neben eine Frau mit feinen Gesichtszügen, die ihn kokett musterte. Eine Spur zu unhöflich schob er sie zur Seite. Die Schöne sah ihm lächelnd und mit einem erstaunten Kopfschütteln nach. Immer geschickter schlüpfte er durch das Gewühl und nutzte jede freie Lücke, bis er schließlich den Platz überquert hatte und ebenfalls in einer Seitenstraße verschwinden konnte.
Conrad lief einfach weiter, so schnell er konnte. Vor Aufregung hatte er längst die Orientierung verloren, er wollte einfach weg vom Markt und eilte ungefähr in die Richtung, in der er die Universität vermutete.
Als Conrad in eine menschenleere, verborgene Gasse einbog, die von kleinen Häusern mit ruhigen, schattigen Gärten gesäumt war, lehnte er sich erschöpft an eine der kühlen Hausmauern und atmete durch. Ihm war übel, und er
Weitere Kostenlose Bücher