Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
haben.« Ferdinand klopfte auf ein Buch, das er aufgeschlagen in seiner Hand hielt. »Hier steht alles schwarz auf weiß. Übrigens rührt der Name Der Goldene daher, dass dieses Volk ihren König tatsächlich während der Zeremonie mit Goldfarbe bemalt hat. Wie findest du das?«
Conrad hörte dem Freund gar nicht zu. Er starrte ausdruckslos auf das Buch und sagte tonlos: »Jana ist weg.«
»Hatte sie genug von dir?«
Conrad schüttelte ärgerlich den Kopf. »Sie ist tatsächlich verschwunden! Wie vom Erdboden verschluckt.«
»Das ist gar nicht gut«, sagte Ferdinand. »Aber es verblüfft mich keineswegs. Es grenzt ohnehin an ein Wunder, dass ihr zwei es unversehrt bis hierher geschafft habt. Glaubst du, dass jemand sie entführt haben könnte?«
»Ich weiß es nicht. Aber ich hoffe inständig, dass sie noch am Leben ist.« Conrad spürte, wie ihm schwindelig wurde. Er setzte sich auf einen der Stühle, die unter dem Feigenbaum standen. In dem Moment kam eine kleine Frau, die ihre besten Jahre bereits hinter sich hatte, aus dem winzigen, gelb gestrichenen Haus im hintersten Teil des Gartens. Freundlich erkundigte sie sich, ob sie Ferdinand und seinem Besucher Erfrischungen reichen sollte.
»Danke, Carmen«, sagte Ferdinand. »Bitte bring uns frisches Zitronenwasser.«
Die kleine Frau nickte und eilte davon. Kaum war sie wieder im Haus, erklärte Ferdinand, dass ihm Carmen den Haushalt führe und ihm jeden Wunsch von den Augen ablese. Die alte Frau hatte vor Jahren durch tragische Umstände ihre Familie verloren und bei Ferdinand eine neue Aufgabe gefunden. »Wir klammern uns gegenseitig aneinander, wie Ertrinkende, die nicht aufgeben wollen«, sagte er bitter.
Dann setzte Ferdinand sich zu seinem Freund und meinte nach einer kurzen Nachdenkpause: »Wenn Jana entführt wurde, wirst du bald eine Lösegeldforderung bekommen. Ich nehme an, dass die Entführer die Reisetagebücher haben wollen. Aber du darfst sie auf gar keinen Fall hergeben! Sie sind unersetzlich.«
Conrad fuhr den Freund verärgert an: »Bist du verrückt? Natürlich gebe ich sie her! Was bedeutet mir irgendein Schatz auf dem Grund eines Sees, wenn Jana tot ist?«
Ferdinand schwieg. Nach einer Weile meinte er müde: »Sobald der Entführer sich bei dir meldet, musst du zur Übergabe einen Platz wählen, der so belebt und voller Menschen ist, dass ihr beide, sowohl du als auch Jana, problemlos flüchten könnt. Denn glaube mir, sie werden Euch verfolgen. Ihr wisst einfach beide zu viel.«
»Was mache ich, wenn niemand Lösegeldforderungen stellt?«, fragte Conrad.
»Wenn Jana wirklich entführt wurde, dann werden sie es tun, verlass dich darauf. Bis dahin kannst du dir die Zeit vertreiben, indem du Carmen beim Ernten der Feigen hilfst. Ich fühle mich dazu nicht mehr in der Lage, und sie jammert seit Tagen.«
Kaum hatte er den letzten Satz ausgesprochen, kam die Haushälterin zurück in den Garten. Auf einem kleinen Silbertablett balancierte sie eine Kanne mit frischem Wasser und zwei Gläser. In der Beuge des rechten Arms hing ein leerer Korb.
»Die Feigen, Señor!«, sagte sie, und Ferdinand konnte sich trotz der Angst des Freundes ein Grinsen nicht verkneifen.
Als Conrad wieder in die Herberge kam, saß Donna Antonia bleich auf einem Stuhl in ihrer Stube und sah Conrad verzweifelt und ängstlich zugleich an. Sie reichte ihm ein kleines, blutverschmiertes Leinensäckchen und berichtete, ein Junge habe ihr am Nachmittag dieses Säckchen und einen Brief abgeliefert.
»Wo ist der Brief?«, fragte Conrad. Ihm war übel, und er wagte nicht, in das Leinensäckchen zu schauen.
»Hier.« Donna Antonia gab ihm einen Briefumschlag. Mit angehaltenem Atem öffnete Conrad das Schreiben und faltete es sorgsam auseinander. Mit geübter Schönschrift stand dort in feinem, sauberen Latein, dass Conrad heute Nacht in die Calle del Torre kommen sollte. »Bringt die beiden Reisetagebücher und das Medaillon mit, wenn Ihr nicht wollt, dass Eure Geliebte stirbt.« Der Brief war nicht unterzeichnet.
Conrad fluchte laut, und Donna Antonia bekreuzigte sich vorwurfsvoll. Ferdinand hatte ihm geraten, die Übergabe an einem belebten Ort stattfinden zu lassen. Es war klar, dass der Entführer vorhatte, sowohl ihn als auch Jana zu töten, sobald er im Besitz der Bücher war. Vielleicht waren es auch mehrere Entführer, dann hätten Jana und er keinerlei Chance. Conrad stellte sich vor, wie einer ihm die Bücher abnahm, während ein anderer bereits mit einer
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