Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
Vermieterin zurückhalten, sie erklärte ihm, dass es gefährlich sei, allein nachts durch Lissabon zu laufen. Aber gerade darum musste er Jana finden! Er lieh sich den Hausschlüssel aus, damit er Donna Antonia nicht wecken musste, wenn er zurückkam, und marschierte los.
Vereinzelt fiel noch Lampenschein durch offene Fensterläden, sonst war es finster. Selbst der Mond versteckte sich hinter Wolken und spendete kaum Licht.
Conrad lief durch die menschenleeren Straßen. Kaum vorstellbar, dass es in nur wenigen Stunden hier wieder von Leuten nur so wimmeln würde. Auf dem riesigen Campo de Santa Clara lagen noch die Abfälle, die die Händler hatten liegenlassen und die auch von Bettlern, streunenden Hunden und Katzen und Ratten verschmäht worden waren. Conrad trat in etwas Weiches, rutschte aus und fing sich erst im letzten Moment. Es war eine faulige Frucht, die bereits vergoren roch. Conrad fluchte und eilte weiter.
Er hätte gerne laut nach Jana gerufen, aber das wagte er nicht, sonst hätte er wohl innerhalb kürzester Zeit die Stadtwache am Hals gehabt. Deshalb sprach er mit normaler Stimme immer wieder ihren Namen aus, schaute in jede Seitengasse und über jeden Gartenzaun, klopfte an offene Kellerfenster und leere Regentonnen. Müde lief er zum Hafen hinunter, wo das Licht des Torre de Belem weit aufs Meer hinausschien, nicht aber auf die dunkle Stadt dahinter.
Conrad vergaß die Zeit, mit jedem Schritt, den er rannte, wuchs seine Angst und die Phantasiebilder in seinem Kopf wurden immer grauenvoller. Er sah Jana im Meer ertrunken, von Dieben erstochen, von Sklavenhändlern verschleppt. Irgendwann, als die Sonne sich mit einem milchig grauen Licht ankündigte, um wenig später in einem kräftig orangeroten Feuerball über dem Horizont aufzugehen, war Conrad erschöpft und der Verzweiflung nahe. Er setzte sich auf einen Stein, der den Fischern dazu diente, ihre kleinen Fischerboote festzubinden und starrte in die Morgensonne, die sich weder um sein Leid noch um das irgendeines anderen Menschen kümmerte und jeden Tag aufging, um am Abend wieder unterzugehen. Ganz egal, was auf der Welt passierte. Conrad schloss für einen Moment die Augen und nickte kurz ein.
Als Jana wieder zu sich kam, wusste sie nicht, wie spät es war. In dem stickigen, kalten Loch war es stockfinster. Selbst durch den dünnen Spalt zwischen Tür und Boden drang kein Licht, denn der Zugang zum Keller befand sich in dem finsteren Durchgang, in den auch bei Tag kaum Sonnenlicht fiel.
Jana zitterte. Sie dachte daran, dass Conrad sich bestimmt Sorgen machte. Sicher rannte er bereits aufgeregt durch die Straßen der Stadt und fragte nach ihr. Aber hier würde er niemals suchen. Niemand würde sie hier je finden. Wahrscheinlich wusste kaum einer, dass dieser Keller überhaupt existierte. Er schien seit Jahren nicht benutzt worden zu sein. Jana fror.
Wer war der Mann mit der fingerlosen Hand gewesen? Was wollte er von ihr? Ob er sie und Conrad beobachtet hatte und nun versuchte, Conrad zu erpressen? Vielleicht forderte er Lösegeld? Wenn er das vorhatte, dann konnte sie nur hoffen, dass er es rasch tat. Jana wusste, dass Conrad zahlen würde, und dann konnte sie das Loch hier wieder verlassen.
Die Zeit verging schleppend, und Jana verlor langsam die Hoffnung. Verzweifelt grübelte sie, was der Mann wohl von ihr wollen konnte, aber es gelang ihr nicht, auch nur eine ihrer zahlreichen Fragen zu beantworten. Die Hände schliefen ihr ein und wurden taub, der Unbekannte hatte sie ihr am Rücken zu fest zusammengebunden. Würde er wiederkommen?
Plötzlich fiel Jana ein, dass der versehrte Mann nicht nur in der Sprache ihres Vaters mit ihr geredet, sondern auch gewusst hatte, dass Conrad Arzt ist. Die Hoffnung, dass er tatsächlich ein Erpresser war, keimte wieder auf.
Jana setzte sich auf, lehnte den Rücken gegen die nasskalte Wand und versuchte die Finger zu bewegen. Vielleicht konnte sie die Fesseln lösen, wenn sie sie lang genug gegen den rauen Stein rieb? Es war einen Versuch wert. Aber zuerst musste sie wieder Blut in die tauben Glieder pumpen. Sie beugte und streckte die eiskalten, gefühllosen Finger, und bald begannen sie zu kribbeln, so als liefen tausend Ameisen durch sie hindurch. Jana scheuerte die Fesseln an der Mauer hin und her, aber alles, was sie damit erreichte, waren blutige Knöchel. Die Stricke waren immer noch so fest wie zuvor. Erschöpft ließ sie den Kopf auf die Knie sinken.
In diesem Moment hörte sie, wie sich
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