Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
erwerben können.« Er lächelte.
Conrad hatte verstanden. »Na, dann … setzen wir doch … mit deiner kostbaren Tinte … ein paar geheimnisvolle Zeichen auf das Pergament, oder?« Auch er zog seine Worte in die Länge, weil es ihm mittlerweile schwerfiel, wach zu bleiben. Es entstand eine lange Pause, in der Ferdinand nicht antwortete.
Auf einmal rief der Freund die Schankmagd herbei, bestellte zwei weitere Krüge Wein zum Mitnehmen und beglich die Rechnung.
»Komm, mein Freund«, sagte er zu Conrad. »Wir gehen zu mir, und dort werden wir noch in dieser Nacht ein wunderbares Dokument in einer nicht existierenden Schrift schaffen.«
Ferdinand war unsicher aufgestanden und hielt sich nun am Tisch fest, um nicht umzufallen. Dann ergriff er die beiden Weinkrüge, welche die Schankmagd auf den Tisch gestellt hatte, und ging mit vorsichtigen Schritten zur Eingangstür. Conrad wollte noch etwas erwidern, aber da war der Freund schon auf die Gasse getreten. Conrad sprang auf, musste sich ebenfalls am Tisch festhalten und eilte dem Freund dann leicht schwankend hinterher. Singend torkelten sie zu Ferdinands winziger Kammer.
Wie sie es geschafft hatten, die geheimnisvollen Zeichen ohne zu tropfen auf das Pergament zu setzen und das Ganze mit absonderlichen Illustrationen zu versehen, war Conrad bis zum heutigen Tag ein Rätsel. Aber er wusste, dass sie in dieser Nacht sehr viel Spaß gehabt hatten. Sie hatten miteinander gelacht wie junge Mädchen, wenn sie ihren Freundinnen vom ersten Kuss erzählten. Als er am nächsten Morgen mit dröhnendem Kopf aufwachte, war Ferdinand bereits dabei, seine Sachen zu packen.
»Du willst wirklich schon aufbrechen?«, fragte Conrad.
Ferdinand nickte. Er hatte den Alkohol sichtlich besser vertragen als sein junger Freund.
»Ich werde versuchen, die Seiten irgendeinem Kaufmann anzudrehen, der keine Ahnung hat und das Ganze für eine geheimnisvolle Schrift hält. Ich finde, das Manuskript ist uns wirklich gut gelungen.« Er nahm eine der Seiten in die Hand und betrachtete sie mit einem schiefen Lächeln.
»Mir gefällt diese Pflanze«, sagte Conrad. Er wollte heiter klingen, konnte seine Traurigkeit aber nicht verbergen.
Dann umarmten die beiden Männer sich steif. Ferdinand rollte das Pergament zusammen, verstaute es in seinem Reisesack und verließ die Kammer. Bevor er die Tür hinter sich schloss, drehte er sich noch einmal um und sagte: »Wir sehen uns wieder, ich verspreche es dir!«
Conrad konnte nicht antworten. Noch heute spürte er die Beklemmung in seiner Brust, den bitteren, pelzigen Geschmack auf der Zunge und das Salz der Tränen, gegen die er vergeblich ankämpfte. Innerhalb weniger Monate hatte er zuerst seinen Vater und nun auch den besten Freund verloren.
Bis jetzt hatte Ferdinands Versprechen sich nicht bewahrheitet. Conrad hatte ihn an jenem kalten, nebligen Novembermorgen das letzte Mal gesehen. Damals war etwas in ihm zerbrochen, und der Schmerz war so tief gewesen, dass er sich schwor, nie wieder eine so tiefe Freundschaft zu einem Menschen zuzulassen. Die Angst, noch einmal verlassen zu werden, war zu groß. Mit jedem Trimester, das sein Studium voranschritt, wuchs die unsichtbare Mauer, die ihn vor weiteren Verletzungen schützen sollte.
Ferdinand hatte ihm immer wieder geschrieben, in zahlreichen Briefen hatte er ihn beschworen, doch so bald wie möglich nachzukommen. Aber Conrad hatte ihm irgendwann nicht mehr geantwortet. Jeder Brief an den Freund hatte die Wunden wieder neu aufgerissen.
Später hatte Conrad von einem Kommilitonen gehört, dass Ferdinand nun in Lissabon lehrte. Was er damals mit dem Pergament, das in jener Nacht entstanden war, gemacht hatte, davon hatte Ferdinand allerdings nie etwas berichtet. Niemals hätte Conrad erwartet, dass der Freund tatsächlich einen Kaufmann gefunden hatte, der ihm die Fälschung abnahm.
Aber weder Ferdinand noch er hatten das weitere Schicksal dieses Pergaments vorhersehen können. Conrad konnte es noch immer kaum fassen, dass dieser Kaufmann die lächerliche Schrift ausgerechnet dem Kaiser aufgeschwatzt hatte, für unglaubliche 600 Dukaten. Und nun lag ihr gemeinsames Machwerk als wohlbehütetes Manuskript im Clementinum, und die Mönche vermuteten einen ketzerischen Inhalt.
Es bestand durchaus die Gefahr, dass jemand im Auftrag des Klosters den Kaufmann herausfand, der das Schriftstück damals weiterverkauft hatte. Und über ihn konnte dann mühelos Ferdinand als der ursprüngliche Verkäufer
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