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Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)

Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Maly
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willkürlich aneinandergereihten Zeichen gerichtet zu halten und dabei Unwissenheit und Neugier vorzutäuschen, denn er kannte das Dokument besser als jeder andere.
    Während er sich einen interessierten Gesichtsausdruck abrang, saß Tepence auf einem gepolsterten Lehnstuhl, den er eigens für die Nachmittage mit dem Wiener Arzt hatte herbeischaffen lassen, und beobachtete ihn hinter halb geschlossenen Augenlidern.
    Dreimal war Pfeiffer nun schon ins Clementinum gekommen, jedes Mal in der Hoffnung, er könnte das unheilvolle Dokument unbemerkt verschwinden lassen, aber niemals hatte sich eine Gelegenheit ergeben.
    Wenigstens hatte sich seine anfängliche Angst, der Freund des Sohns seiner Vermieterin habe bereits mit dem Abt gesprochen, als unbegründet erwiesen. Aus dieser Richtung drohte im Moment keine Gefahr, aber das war nur ein kleiner Trost angesichts der Tatsache, dass die Pergamentseiten sein Leben zerstören konnten.
    Die Schrift war eine törichte Jugendsünde, ein witzig gemeinter Streich, entstanden in einer durchzechten Nacht. Er musste sie verschwinden lassen, um nicht aufzufliegen und damit seine Zukunft als Wissenschaftler und Gelehrter aufs Spiel zu setzen.
    Leider ließ Tepence ihn nicht einen Augenblick allein mit dem Pergament, obwohl es durchaus den Anschein machte, als vertraute er ihm. Pfeiffer war davon überzeugt, dass der alte Mann an den Stunden in der Bibliothek Gefallen fand. Er ließ sich die wärmenden Sonnenstrahlen auf die Schultern scheinen, beobachtete Pfeiffer und freute sich daran, dass jemand sich mit der ihm so wichtigen und wertvollen Schrift beschäftigte.
    Jetzt öffnete Tepence die Augen, sah zufrieden zu ihm herüber und nickte wohlwollend. Ja, der alte Mann genoss die gemeinsamen Stunden in der Bibliothek.
    Ganz im Gegensatz zu Pfeiffer selbst. Er blies sich ungeduldig eine rotblonde Strähne aus der Stirn und überlegte fieberhaft, wie er das unangenehme Problem rasch aus der Welt schaffen konnte. Schließlich konnte er nicht monatelang seine Nachmittage sinnlos in der Bibliothek zubringen.
    Mit dem Zeigefinger der rechten Hand strich er über eine der Illustrationen, und plötzlich war ihm, als wäre es gestern gewesen, als er seine Feder ins Tintenfass getaucht hatte, um dieses Bild einer nicht existierenden Pflanze zu schaffen.
    Damals war er ein junger Bursche gewesen und hatte gerade seine Studien in Wien begonnen. Sein Vater war seit ein paar Monaten tot, und Conrad litt darunter, dass er den geliebten Menschen so plötzlich verloren hatte und nun völlig allein in der Welt stand. Conrads Mutter war bereits bei seiner Geburt gestorben, und sein Vater hatte danach nicht mehr geheiratet. Onkel oder Tanten hatte er keine in Wien, und so zog Conrad in eine der kleinen Kammern hinter der Universität, wo Studenten für wenig Geld ein Bett zum Schlafen mieten konnten. Die Summe, die der Vater ihm hinterlassen hatte, reichte fürs Studium, und es war ausdrücklich sein Wunsch gewesen, dass Conrad das Geld auch nur dafür verwendete.
    »Du hast den Verstand und das Zeug zum Gelehrten«, hatte der alte Gerichtsschreiber einige Tage, bevor er starb, zu ihm gesagt.
    Um dem Wunsch des Vaters zu entsprechen, hatte er sich voller Ehrgeiz auf sein Studium gestürzt, doch schon nach den ersten Wochen stand er vor unerwarteten Schwierigkeiten. Sein rebellischer Geist und sein schier unstillbarer Wissensdurst prallten gegen eine Wand der Ignoranz. Innerhalb kürzester Zeit schaffte der junge Conrad es, den Ärger aller namhaften Doktoren auf sich zu ziehen, indem er das, was sie lehrten, in Frage stellte und veralteten Vorstellungen neue, eigene Ideen entgegensetzte. Mit einer einzigen Ausnahme: der Mathematiker, Physiker und Astronom Ferdinand Schratter. Der Wissenschaftler war zehn Jahre älter als Conrad und hatte sich bereits einen Namen gemacht. Nun versuchte er sein Wissen auch in Wien an die Studenten weiterzugeben, geriet aber wegen seiner aufrührerischen Lehren immer wieder mit der äußerst konservativen katholischen Führung der Universität in Konflikt. In Conrad fand Schratter einen Studenten, der an seinen Lippen hing und gleichzeitig versuchte, seine Ideen weiterzuentwickeln. Nach dem ersten Studienjahr hatte sich zwischen Student und Dozent eine ungewöhnliche und tiefe Freundschaft entwickelt. Die beiden verbrachten auch ihre Freizeit gemeinsam. Oft gingen sie abends auf einen Krug von dem Wein, der billig und sauer war und auf den Hängen vor der Stadt wuchs. Sie

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