Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
ausfindig gemacht werden. Wenn aber Ferdinand vor aller Welt als Ketzer dastand, dann war auch Conrad hochgradig gefährdet. Viele an der Wiener Universität wussten nur zu gut, dass er Ferdinands engster Freund gewesen war!
Nein, Conrad mochte sich gar nicht ausmalen, was dann geschehen konnte. Er musste diese Pergamentbögen verschwinden lassen.
Völlig in seine Gedanken versunken, strich Conrad Pfeiffer über das Pergament. Es war wirklich herrlich gearbeitet, glatt, dünn und ohne jegliche Unebenheiten. Es hatte keines der üblichen Löcher, die jeder noch so talentierte Schreiber produzierte, wenn er mit dem Messer die oberste Schicht abschabte, um einen kleinen Fehler zu korrigieren. Die Zeichen waren präzise und schwungvoll aufs Pergament gesetzt, die Zeichnungen phantasievolle kleine Meisterwerke. Wahrscheinlich war ihnen das nur so gut gelungen, weil sie bereits sechs Krüge Wein intus gehabt hatten.
Während Conrad den ekelhaft sauren Geschmack des Weins wieder auf der Zunge spürte, stand Tepence auf. Mühsam stützte sich der alte Mann auf seinen Stock.
»Ich habe heute nicht so lange Zeit, denn ich muss für ein paar Tage verreisen und habe noch nicht alle Vorkehrungen dafür getroffen. Ihr könnt in Ruhe Eure heutigen Studien abschließen. Legt die Schrift bitte anschließend zurück ins Regal. Ich werde erst zum Ende der Woche zurückkehren, so lange müsst ihr leider warten, bis Ihr Eure Forschungsarbeiten fortsetzen könnt. Bruder Rupert wird die Bibliothek dann hinter Euch abschließen, er wartet im Nebenraum auf Euch.«
Der alte Mann trat neben Conrad und beugte sich über die Schrift. »Ist es nicht erstaunlich, dass der Schreiber nicht einen einzigen Fehler gemacht hat?«, fragte er kopfschüttelnd.
»Ja, das stimmt«, erwiderte Conrad ehrlich, auch wenn er dabei an etwas völlig anderes dachte als der alte Mann.
Tepence fuhr fort: »Ich wünsche Euch eine schöne Woche und noch viel Erfolg bei Euren Untersuchungen. Vielleicht könnt Ihr mir ja nächste Woche schon etwas Interessantes berichten.« Er winkte ihm zum Abschied zu und humpelte langsam aus dem Raum.
Kaum hatte sich die niedrige Tapetentür hinter ihm geschlossen, sprang Conrad auf und vergewisserte sich, dass er allein im Raum war. Er konnte es nicht glauben. Hatte man ihm eine Falle gestellt? Würde, sobald er das Dokument unter seine Jacke schob, ein kleingewachsener Mönch aus einem der Bücherregale springen und ihn des Diebstahls beschuldigen?
Vorsichtig trat er an eines der Regale, lockerte ein paar der dicken, staubigen Bücher und schaute vorsichtig dahinter. Natürlich war dahinter selbst für einen kleinwüchsigen Mann nicht genug Platz zum Verstecken. Conrad musste über sich selbst lachen. Vor lauter Angst, erwischt zu werden, sah er Gespenster. Er war ganz allein im Geheimkabinett der Bibliothek. Eine weitere derart günstige Gelegenheit, das Dokument mitzunehmen, das seine Zukunft gefährden konnte, würde er sicher nicht bekommen.
Conrad hörte, dass Tepence vor der kleinen Tür noch einige Worte mit dem jungen Bruder wechselte, dann entfernten sich die schlurfenden Schritte des alten Manns und das hölzerne Klopfen seines Stocks. Conrad wartete, bis die Gehgeräusche endgültig verhallt waren.
Dann rollte er die Pergamentblätter vorsichtig zusammen und steckte sie in die Innentasche seiner tannengrünen Jacke. Die leere Lederhülle klappte er zusammen und schob sie zurück ins Regal. Sein Herz klopfte so heftig, als wollte es ihm aus der Brust hüpfen. Langsam ging er zum Fenster. Der Innenhof des Klosters war menschenleer, das gesamte Gebäude wirkte so leblos, als wäre es unbewohnt. Dabei gingen hier doch so viele Mönche ihren täglichen Pflichten nach!
Langsam beruhigte sich sein Atem wieder. Er zählte bis hundert, dann rief er mit möglichst ausdruckslosem Tonfall nach Bruder Rupert. Seine Stimme klang eine Spur zu hoch, aber der Junge, der im nächsten Moment schon die Tür öffnete, schien nichts Ungewöhnliches zu bemerken. Er wirkte verschlafen, wahrscheinlich hatte Conrad ihn aufgeweckt.
»Ich bin fertig für heute«, sagte der Arzt. Mit trübem Blick sah der schläfrige Junge zum Regal, wo die leere Lederhülle stand. Offenbar sah er keinen Anlass zu überprüfen, ob sich das Pergament tatsächlich darin befand. Er winkte Conrad aus dem Raum, schloss die Tür hinter ihm, versperrte sie und ließ den Schlüssel in einer Seitentasche seiner Kutte verschwinden.
Etwas zu hastig verabschiedete
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