Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
diskutierten über medizinische Themen, rätselten über die Ursache von Wundbrand und entwarfen Ideen, wie man Operationen schmerzfrei vornehmen könnte. Aber sie genossen das Leben auch, trafen sich mit Frauen und kosteten ihr Dasein als Junggesellen aus.
Conrad war froh über die Freundschaft zu Ferdinand, der ihm Freund und Vaterfigur in einer Person war. Doch eines Tages erzählte ihm Ferdinand, die Leitung der Universität habe ihm seinen Lehrauftrag entzogen.
»Warum?«, fragte Conrad verzweifelt.
»Ich habe in einer der Vorlesungen gesagt, dass die Erde rund ist und sich um die Sonne dreht.«
»Ja, und? Das wissen ohnehin alle, die sich wissenschaftlich mit Astronomie beschäftigen«, erwiderte Conrad. »Das wurde doch schon durch Kolumbus bewiesen, als er ans andere Ende der Welt segelte. Galilei hat sogar Fernrohre entwickelt, mit denen wir Planeten beobachten können, die um die Sonne kreisen.«
»In einer Stadt, in der ein Bischof mehr Einfluss auf die Universität hat als der Rektor selbst und den Unterricht der Lehrenden kontrolliert, ist alles möglich. Diese Tatsache wird von der offiziellen Kirche noch immer als Ketzerei betrachtet. Die Ignoranz dieser Leute ist grenzenlos!«
»Was hast du nun vor?«, fragte Conrad vorsichtig.
»Ich muss die Stadt verlassen. Vielleicht gehe ich in den Süden. In Rom hat der Papst längst nicht so viel Einfluss wie hier. Die Menschen dort wissen, dass er ein Heuchler ist, der Bedürfnislosigkeit predigt und selbst in Saus und Braus lebt. Sie gehen zwar dennoch in die Kirche, aber sie nehmen die Kirchenleitung nicht so ernst.«
»Glaubst du das wirklich?«, fragte Conrad zweifelnd.
Ferdinand zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es natürlich nicht sicher«, sagte er ehrlich. »Aber ich muss Wien verlassen, und zwar schon in den nächsten Tagen. Leider habe ich im Moment kaum Geld, damit komme ich also nicht weit.«
»Hast du denn gar nichts Erspartes?«
»Die Universität zahlt einen Hungerlohn, und den gebe ich aus, sobald ich ihn bekomme.«
Conrad wurde rot vor Scham. Wie oft hatte Ferdinand auch seine Zeche beglichen, denn Conrad musste sich das bisschen, das sein Vater ihm hinterlassen hatte, gut einteilen, wenn es für das gesamte Studium reichen sollte. Wenn er gewusst hätte, dass der Freund selbst so wenig hatte, hätte er das niemals zugelassen.
Ferdinand bestellte einen weiteren Krug Wein.
»Willst du nicht mitkommen?«, fragte er Conrad.
Nur zu gern hätte Conrad genickt. Er mochte sich ein Leben ohne Ferdinand nicht vorstellen. Aber er hatte seinem Vater das Versprechen gegeben, seine Studien in Wien abzuschließen. Wenn er erst einmal Arzt war, konnte er genug Geld verdienen, um dem Freund nachzureisen.
»Ich kann nicht, und das weißt du«, sagte Conrad traurig.
Ferdinand zuckte mit den Schultern. »Hast du dann vielleicht eine Idee, wie ich schnell zu Geld komme, damit ich bis nach Rom reiten kann?«
Er schenkte sich selbst und dem jungen Freund nach. Beiden war der Wein bereits zu Kopf gestiegen.
»Hast du denn gar nichts, was du zu Geld machen kannst?«, fragte Conrad. »Ein Schmuckstück, ein Buch, ein Gemälde …«
»Gar nichts.« Ferdinand schüttelte den Kopf. Seine Zunge war schon schwer, und er sprach langsam und bedächtig. Trotzdem nahm er noch einen kräftigen Schluck von dem sauren Wein und verzog das Gesicht.
Plötzlich hob er den rechten Zeigefinger und sagte: »Ich habe eine Idee. Ich habe noch vier Blätter wertvolles Pergament, ein Student hat sie mir vor Jahren geschenkt. Sein Vater war ein äußerst geschickter Pergamentmacher. Das Pergament ist so fein und glatt, als wäre es zweihundert Jahre alt. Damals stellten nur die Mönche in den Klöstern so herrliches Pergament her.«
»So fein es auch sein mag, ich fürchte, für vier leere Seiten Pergament wirst du nicht so viele Münzen kassieren, dass du genug Geld hast für die Reise und die erste Zeit in einer neuen Stadt.«
Ferdinand nickte betrübt. Dann sagte er verschmitzt: »Ich besitze allerdings auch noch zwei Fässchen kostbare Tinte.«
Eine Pause entstand, in der beide die Becher an die Lippen setzten.
Ferdinand fuhr fort: »Wenn das Pergament nicht leer wäre, würde ich dafür sehr viel mehr Münzen bekommen. Es gibt Menschen, die für alte Bücher viel Geld bezahlen, selbst wenn sie die Schrift nicht lesen können. Vielleicht hoffen sie, dass der Besitz einer kostbaren Schrift ihnen quasi über Nacht Wissen verleiht, das sie aus eigener Kraft nicht
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