Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
der Weg unters Dach leichter.
Sie entzündete eine kleine Laterne und stieg die schmale Holztreppe hinauf bis zur Dachkammer. Vorsichtig klopfte sie an die niedrige Tür, doch nichts rührte sich. Sie klopfte lauter. Diesmal hörte sie ein Rascheln, und gleich darauf öffnete sich laut quietschend die Tür. Doktor Pfeiffer blinzelte sie verschlafen an. Offenbar hatte er schon im Bett gelegen. Die rotblonden Haare standen ihm in alle Richtungen vom Kopf ab. Er war zuerst sichtlich verwirrt, doch dann erinnerte er sich wieder.
»Ich kann mein Hemd wirklich selbst waschen«, brummte er verärgert. Schon wollte er die Tür zu seiner Kammer wieder schließen, da räusperte sich Jana verlegen.
»Ich … äh … ich hätte da ein Anliegen.«
Conrad Pfeiffer rieb sich die Augen. »Ein Anliegen?«
Jana nutzte seine Überraschung und drängte sich an ihm vorbei in die winzige Kammer. Sie überlegte, wo sie sich hinsetzen konnte. Das Bett war benutzt, Stuhl gab es keinen, bloß ein Schreibpult. Deshalb ließ sie sich ungefragt auf der Truhe vor dem winzigen Fenster nieder. Die Laterne stellte sie aufs Schreibpult.
»Es ist eine ungewöhnliche Tageszeit für ein Anliegen«, sagte Conrad Pfeiffer mit Sarkasmus in der Stimme.
»Es geht um eine verschlüsselte Schrift. Ein Buch von großem wissenschaftlichen Wert«, platzte Jana heraus.
Wenn sie geglaubt hatte, damit die Neugier des Gelehrten zu wecken, so hatte sie sich geirrt. Er grinste mitleidig und ließ sich auf sein Bett fallen.
»Ist denn die ganze Stadt voll von mysteriösen Geheimschriften?«
»Wie bitte?« Jana sah ihn verständnislos an.
»Ach, vergesst es und erzählt weiter.«
»Mein Vater hat mir dieses Buch geschickt«, sagte Jana. »Kurz danach ist er auf unerklärliche Weise verstorben. Offenbar eine plötzliche Krankheit, die rasch zum Tod geführt hat.«
»Das tut mir aufrichtig leid«, erwiderte Pfeiffer, schlagartig ernst geworden. »Es gibt immer wieder grausame Krankheiten, die zuvor gesunde Menschen innerhalb kürzester Zeit dahinraffen.«
»Als mein Vater mir das Buch schickte, wusste er noch nicht, dass er krank war. Er hatte vor, nach Frankreich zu reisen, um die beiden anderen Teile der Schrift zu suchen.«
»Und Ihr glaubt, es gibt einen Zusammenhang zwischen diesem Buch und dem Tod Eures Vaters?« Der Wissenschaftler zog die Augenbrauen hoch. Jana war davon überzeugt, dass er ihr nicht glaubte.
»Ja«, gab sie in wachsendem Ärger zurück. »Ich bin davon überzeugt, dass es sich um ein sehr wertvolles Buch handelt und dass mein Vater sein Leben dafür gelassen hat.« Sie biss sich auf die Unterlippe.
Eine unangenehm lange Pause trat ein. Schließlich sagte Pfeiffer: »Was für eine Art von Buch ist es denn?«
»Das Reisetagebuch eines Jesuitenpaters. Aus irgendeinem Grund hat er seine Aufzeichnungen verschlüsselt.«
Im Halbdunkel des Raums konnte Jana das Gesicht des Arztes nicht genau erkennen. Aber es schien ihr, als habe sie soeben einen Funken Neugier in seinen blauen Augen aufblitzen sehen.
»Meinem Vater ist es gelungen, einen Teil des Textes zu enträtseln. Leider hat der Pater seinen Text auf Lateinisch geschrieben, und ich muss zugeben, dass sich meine Lateinkenntnisse auf Bezeichnungen für Arzneimittel beschränken.« Entschuldigend fügte sie hinzu: »Schließlich brauche ich die Kirchensprache so gut wie nie.«
»Es ist auch die Sprache der Wissenschaft«, verbesserte sie Pfeiffer. »Mit ihr können sich Gelehrte auf der ganzen Welt miteinander verständigen und über etwas diskutieren, auch wenn sie aus unterschiedlichen Ländern stammen.«
»Auf der ganzen Welt?«, fragte Jana nach.
»Nun, zumindest hier in Europa.«
Jana schüttelte den Kopf. »Wie auch immer«, sagte sie, »da ich nicht genug Latein verstehe, kann ich die Schrift nicht lesen.«
»Warum sollte ein Jesuitenpater den Text eines Reisetagebuchs verschlüsseln?«
Jana zuckte mit den schmalen Schultern. »Wenn ich es wüsste, stünde ich nicht hier in Eurer Kammer.«
»Und Ihr glaubt tatsächlich, dass man Euren Vater ermordet hat?«
Das Wort Mord ließ Jana zusammenzucken. Sie selbst hatte es noch nicht auszusprechen gewagt, aber es traf haargenau ihre Befürchtungen. Vielleicht war ihr Vater ermordet worden, weil er etwas herausgefunden hatte, das nicht für ihn bestimmt gewesen war. Ob sie das Buch besser sofort verbrennen sollte, um sich nicht selbst in Gefahr zu bringen?
Aber dazu war es zu spät, denn Conrad Pfeiffer hatte sich soeben
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