Das sündige Viertel
ihm. Er antwortete nicht sofort.
»Gewiß, das wäre schrecklich … schrecklich … Gott behüte! Aber ich komme doch nur zu dir allein, nur zu dir! Du würdest es mir doch bestimmt sagen?«
»Ja, ich würde es sagen«, sprach sie nachdenklich. Und sie fügte schnell hinzu, als mache sie sich den Sinn ihrer Worte jetzt erst bewußt: »Ja, natürlich, natürlich, ich würde es sagen! Hast du eigentlich schon einmal gehört, was das für eine Krankheit ist, die sich Syphilis nennt?«
»Natürlich hab ich davon gehört … Die Nase fällt ein …«
»Nein, Kolja, nicht nur die Nase! Der Mensch wird durch und durch krank: Knochen, Adern, Gehirn … Manche Ärzte behaupten unsinnigerweise, man könnte diese Krankheit heilen. Hirngespinste! Sie ist nicht zu heilen! Der Mensch verfault allmählich – zehn, zwanzig, dreißig Jahre lang. Jeden Augenblick kann ihn eine Paralyse befallen, so daß die rechte Gesichtshälfte, der rechte Arm, das rechte Bein absterben, dann lebt er nur noch als halber Mensch weiter. Halb Mensch, halb Leichnam. Die meisten werden wahnsinnig. Und jeder weiß … jeder Mensch … jeder so infizierte Mensch weiß, daß, wenn er ißt, trinkt, küßt, sogar wenn er einfach nur atmet – daß er nie sicher sein kann, ob er nicht gerade jetzt jemanden aus seiner Umgebung ansteckt, vielleicht einen seiner Nächsten: seine Schwester, seine Frau, seinen Sohn … Die Kinder aller Syphilitiker kommen mißgestalt zur Welt, als Frühgeburten oder mit Kropf, als Schwindsüchtige oder Idioten. So ist das mit dieser Krankheit, Kolja! Und nun«, Shenka richtete sich plötzlich auf, faßte Kolja fest an den nackten Schultern und drehte ihn zu sich herum, so daß er beinahe geblendet war vom Funkeln ihrer düster-traurigen ungewöhnlichen Augen, »nun sage ich dir, Kolja, daß ich schon über einen Monat diese entsetzliche Krankheit habe. Deshalb nämlich habe ich nicht zugelassen, daß du mich küßt …«
»Mach keine Scherze … Du hältst mich zum Narren, Shenja!« murmelte Gladyschew böse, erschrocken und verwirrt.
»Ich scherze? … Komm her!«
Sie riß ihn hoch, entzündete ein Streichholz und sagte: »Jetzt paß gut auf, was ich dir zeige …«
Sie öffnete weit den Mund und hielt die Flamme so, daß sie ihren Rachen beleuchtete. Kolja sah hin und wich jäh zurück.
»Siehst du diese weißen Flecken? Das ist die Syphilis, Kolja! Verstehst du – Syphilis im schlimmsten, schwersten Stadium. Nun zieh dich an und danke Gott.«
Schweigend und ohne Shenka anzusehen, zog er sich eilig an, sich mit den Füßen in der Kleidung verheddernd. Seine Hände zitterten, und sein Unterkiefer bebte so, daß ihm die Zähne zusammenschlugen. Shenka aber sprach mit gesenktem Kopf: »Hör zu, Kolja, es ist dein Glück, daß du an ein ehrliches Mädchen geraten bist, eine andere hätte dich nicht geschont. Hörst du? Wir, denen ihr die Unschuld raubt und die ihr dann aus dem Hause jagt und denen ihr schließlich zwei Rubel für einen Besuch zahlt, wir …« Sie hob plötzlich den Kopf. »Wir, verstehst du, wir hassen euch alle und haben niemals Mitleid mit euch!«
Kolja, halb angekleidet, unterbrach auf einmal seine Toilette, setzte sich neben Shenka aufs Bett, barg das Gesicht in den Händen und brach in heftiges Weinen aus, ganz wie ein Kind.
»Mein Gott, mein Gott«, flüsterte er, »es ist ja wahr! Was für eine Gemeinheit! Auch bei uns, bei uns zu Hause, hat es das gegeben: Wir hatten ein Zimmermädchen, Njuscha … ein Zimmermädchen … sie wurde auch Señorita Anita genannt … hübsch war sie … und mit ihr lebte mein Bruder … mein großer Bruder … ein Offizier … und als er fortging, war sie schwanger, und Mutter hat sie davongejagt … ja, davongejagt – aus dem Haus geworfen wie einen schmutzigen Lappen … Wo mag sie jetzt sein? Und Vater … Vater … Er hatte auch etwas mit einem Zim … Zimmermädchen.«
Shenka, halbbekleidet, diese gottlose Shenka, die so oft randaliert hatte, erhob sich plötzlich vom Bett, stellte sich vor den Kadetten und schlug langsam, beinahe feierlich das Kreuz über ihm.
»Der Herr behüte dich, mein lieber Junge!« sagte sie mit tiefer Zärtlichkeit und Dankbarkeit.
Dann lief sie schnell zur Tür, öffnete sie und rief: »Verwalterin!«
Auf ihren Ruf hin kam Sossja.
»Folgendes, Mamsellchen«, ordnete Shenka an, »gehen Sie bitte und sehen Sie nach, wer frei ist – Tamara oder die Blonde Manka. Und schicken Sie sie her.«
Kolja brummte etwas hinter ihr, doch
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