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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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Shenka hörte nicht auf ihn.
    »Und bitte beeilen Sie sich, Mamsellchen, seien Sie so gut.«
    »Sofort, sofort, Fräulein.«
    »Warum tust du das, Shenja, warum?« fragte Gladyschew kummervoll. »Was soll das? Willst du es wirklich erzählen?«
    »Warte, das ist meine Sache … Warte nur, ich tue nichts Schlechtes für dich.«
    Einen Moment später kam die Blonde Manka in ihrem glatten, kurzen, betont bescheidenen und betont engen braunen Gymnasiastinnenkleid.
    »Du läßt mich rufen, Shenja? Habt ihr euch etwa verzankt?«
    »Nein, nein, Manetschka, aber mir tut der Kopf sehr weh«, erwiderte Shenka ruhig, »und deshalb findet mein Freund mich sehr kalt! Sei so lieb, Manetschka, bleib bei ihm, vertritt mich!«
    »Hör auf, Shenja, laß das doch, Liebes!« widersprach Kolja in aufrichtig leidendem Ton. »Ich habe alles, alles verstanden, ich will jetzt nicht … Quäl mich doch nicht!«
    »Ich verstehe überhaupt nicht, was los ist.« Manka zuckte die Achseln. »Vielleicht spendiert ihr einem armen Mädchen was?«
    »Schon gut, geh nur, geh.« Shenka schickte sie freundlich wieder fort. »Ich komme gleich nach. Wir haben bloß Spaß gemacht.«
    Nachdem sie angekleidet waren, standen sie noch lange an der offenen Tür, zwischen Korridor und Schlafzimmer, und sahen einander wortlos und traurig an. Und Kolja, ohne es zu begreifen, spürte, daß in diesem Moment in seiner Seele einer jener gewaltigen Umbrüche vor sich ging, die sich aufs ganze Leben bestimmend auswirken.
    Dann drückte er Shenja fest die Hand und sagte: »Verzeih! Verzeihst du mir, Shenja? Ja?«
    »Ja, mein lieber Junge! Ja, mein Guter! Ja … Ja …«
    Zärtlich, mütterlich streichelte sie seinen kurzgeschorenen Kopf und schob ihn sanft auf den Korridor.
    »Wo gehst du jetzt hin?« fragte sie hinter ihm, die Tür noch halb offenhaltend.
    »Ich hole meinen Kameraden und geh dann nach Hause.«
    »Wie du meinst … Bleib gesund, Lieber!«
    »Verzeih mir! Verzeih mir!« wiederholte Kolja noch einmal und streckte die Hände nach ihr aus.
    »Ich habe es doch schon gesagt, mein guter Junge … Und du verzeihst mir auch … Wir sehen uns ja nicht mehr wieder!«
    Sie schloß die Tür und blieb allein.
    Auf dem Flur geriet Gladyschew in Verlegenheit, weil er nicht wußte, wo das Zimmer lag, in das Petrow mit Tamara gegangen war. Jedoch ihm half die Verwalterin Sossja, die sehr eilig und mit verstörter Miene vorüberlief.
    »Ach, keine Zeit!« erwiderte sie barsch auf Gladyschews Frage. »Dritte Tür links.«
    Kolja ging zu der betreffenden Tür und klopfte. Im Zimmer hörte er Geraschel und Flüstern. Er klopfte noch einmal.
    »Kerkovius, mach auf! Ich bin's – Soliterow.«
    Wenn die Kadetten sich auf solcherart Expeditionen begaben, vereinbarten sie stets, sich mit ausgedachten Namen anzureden. Das war nicht so sehr Konspiration, auch nicht Abwehr gegen die Wachsamkeit der Vorgesetzten oder Furcht, sich vor zufällig anwesenden Bekannten der Familie zu kompromittieren, es war eher eine Art Verstellungs- und Verkleidungsspiel, ein Spiel, das seinen Ursprung in den Zeiten hatte, da die Jugend sich für Gustave Aimard, Mayne Reid und den Detektiv Lecoq begeisterte.
    »Nein!« erscholl hinter der Tür Tamaras Stimme. »Nicht hereinkommen. Wir sind beschäftigt.«
    Doch sofort fiel Petrows Baß ihr ins Wort: »Ach was! Sie lügt. Komm rein. Du darfst!«
    Kolja öffnete die Tür.
    Petrow saß angekleidet auf dem Stuhl, er war aber ganz rot, schaute finster drein, mit kindlich schmollenden Lippen und gesenkten Augen.
    »Da haben Sie ja einen feinen Kameraden mitgebracht – Kommentar überflüssig!« sagte Tamara spöttisch und ärgerlich. »Ich dachte, er ist wirklich ein Mann, aber das ist ja eine Zierpuppe! Er hat Angst, seine Unschuld zu verlieren, was sagen Sie dazu? Als ob die wunder wie kostbar wär! Da, nimm schon, nimm deine zwei Rubel zurück!« schrie sie Petrow plötzlich an und warf zwei Münzen auf den Tisch. »Sowieso gibst du sie irgendeinem Dienstmädchen! Oder spar sie dir auf für Handschuhe, du Zieselratte!«
    »Warum schimpfen Sie denn?« knurrte Petrow, ohne den Blick zu heben. »Ich beschimpfe Sie doch auch nicht. Warum fangen Sie damit an? Ich habe das volle Recht, zu tun, was ich will. Aber ich habe mit Ihnen die Zeit verbracht, also nehmen Sie. Mit Gewalt will ich nicht. Und von dir, Gladyschew … das heißt, Soliterow, war das ganz und gar nicht schön. Ich dachte, sie ist ein anständiges Mädchen, aber sie bedrängt mich ewig mit

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