Das sündige Viertel
Küssen und sonstwas …«
Ungeachtet ihres Zornes mußte Tamara lachen.
»Ach, du Dummer, du Dummer! Na, sei nicht böse, ich nehme dein Geld. Nur denk dran: Du wirst es noch heute abend bereuen, heulen wirst du. Na, sei nicht böse, sei nicht böse, mein Engel, komm, wir wollen uns wieder vertragen. Gib mir die Hand, so wie ich dir.«
»Laß uns gehen, Kerkovius«, sagte Gladyschew. »Auf Wiedersehen, Tamara.«
Tamara steckte das Geld, wie es bei allen Prostituierten üblich war, in ihren Strumpf und begleitete die Burschen hinaus.
Schon während sie den Korridor passierten, wunderte Gladyschew sich über die eigenartige, schweigende, angespannte Unruhe im Saal, Fußgetrappel und gedämpfte Stimmen erklangen, halblautes Getuschel.
An der Stelle, wo die Jungen noch vor kurzem unter dem Bild gesessen hatten, drängten sich sämtliche Bewohner von Anna Markownas Haus und einige Fremde. Sie standen dicht beisammen und beugten sich vor. Neugierig trat Kolja näher, drängelte ein wenig und lugte zwischen den Köpfen hindurch. Auf dem Fußboden lag, unnatürlich gekrümmt, auf der Seite, Wanka Stehauf. Sein Gesicht war blau, beinahe schwarz. Er bewegte sich nicht und wirkte sonderbar klein, mit angezogenen Beinen. Einer seiner Arme war unter der Brust eingeklemmt, der andere zurückgeworfen.
»Was ist los mit ihm?« fragte Gladyschew erschrocken.
Ihm antwortete Njurka, schnell und abgehackt flüsternd: »Wanka Stehauf war gerade erst gekommen … Hat Manka die Bonbons gegeben, und dann hat er uns armenische Rätsel aufgegeben … ›Ist blau, hängt im Wohnzimmer und pfeift …‹ Wir kamen einfach nicht darauf, da sagte er: ›Ein Hering.‹ Auf einmal fing er an zu lachen, zu husten, schwankte zur Seite, und dann – bums, auf die Erde, und kein Mucks mehr … Die Polizei wird gleich kommen … Mein Gott, so was Schreckliches! Ich hab so furchtbare Angst vor Toten!«
»Warte!« fiel Gladyschew ihr ins Wort. »Man muß seine Stirn befühlen, vielleicht lebt er noch …«
Er wollte sich nach vorn drängen, doch Simeons Finger packten ihn wie eine eiserne Zange am Oberarm und zogen ihn zurück.
»Da gibt's nichts zu gucken«, befahl er barsch, »gehen Sie fort von hier, junge Herren! Hier haben Sie nichts verloren: Wenn die Polizei kommt, werden Sie als Zeugen vernommen, dann jagt man Sie aus der Offiziersschule – schwupp, zu Teufels Großmutter! Gehen Sie, gehen Sie im guten!«
Er führte sie in die Diele, gab ihnen ihre Mäntel und sagte noch barscher: »Also los – raus jetzt! Dalli! Wir wolln Sie hier nicht mehr sehn! Und das nächste Mal laß ich Sie gar nicht erst rein. So was! Geben dem alten Köter Geld für Schnaps – und nun hat er die Mücke gemacht.«
»He, reiß das Maul nicht zu weit auf, du!« fuhr Gladyschew ihn an.
»Was heißt hier Maul?« schrie Simeon auf einmal blindwütig, und seine brauen- und wimpernlosen schwarzen Augen wurden so furchterregend, daß die Kadetten zurückfuhren. »Ich zeig's dir gleich so, daß du nicht mehr Papa und Mama sagen kannst! Ich reiß dir die Beine unterm Hintern ab! Los, raus! Sonst gibt's was auf den Deckel!«
Die Burschen liefen die Treppe hinab.
Im selben Moment stiegen zwei Männer nach oben, sie trugen Tuchmützen schief auf dem Kopf, offene Jacken, darunter einer ein blaues, der andere ein rotes Hemd mit offenem Kragen – eindeutig Berufskollegen von Simeon.
»Na?« rief der eine von unten aus fröhlich, an Simeon gewandt: »Hat's Wanka Stehauf erwischt?«
»Ja, scheint so, Sense«, antwortete Simeon. »Wir müssen ihn erst mal auf die Straße schmeißen, Leute, sonst gibt's Ärger. Zum Teufel, sollen sie denken, er hätte sich besoffen und wäre unterwegs krepiert.«
»Du hast ihn doch nicht etwa …?«
»Red keinen Blödsinn! Als hätte ich Grund dazu gehabt. Der war harmlos. Ein richtiges Lämmchen. Es war vermutlich Zeit für ihn.«
»Hat sich aber auch 'nen Platz zum Sterben ausgesucht! Konnte er keinen besseren finden?« sagte der im roten Hemd.
»Das stimmt wirklich!« bestätigte der andere. »Toll gelebt und voll gestorben. Na dann, Kollegen, wollen wir mal!«
Die Kadetten liefen, so schnell sie konnten. Jetzt im Dunkeln erschien ihnen der auf dem Fußboden zusammengekrümmte Wanka Stehauf mit seinem blauen Gesicht so schrecklich, wie es uns in allerfrühester Jugend mit Toten geht, wenn wir, noch dazu in finsterer Nacht, an sie denken.
4
Vom frühen Morgen an fiel Nieselregen, fein wie Staub, hartnäckig und monoton.
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