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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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Platonow half im Hafen beim Entladen von Wassermelonen. In dem Betrieb, wo er seit dem Sommer arbeiten wollte, hatte er kein Glück gehabt: bereits nach einer Woche bekam er Streit, der beinahe zur Schlägerei ausartete, mit dem Obermeister, der überaus grob mit den Arbeitern umsprang. Etwa einen Monat schlug Sergej Iwanowitsch sich schlecht und recht durch, bei Brot und Wasser in einem Hinterhof der Temnikowskaja-Straße, von Zeit zu Zeit brachte er in die Redaktion der »Otgoloski« Lokalnotizen oder amüsante kleine Anekdoten aus Friedensrichterkreisen. Doch die sklavische Zeitungsarbeit war ihm schon lange über. Immer hatte es ihn nach Abenteuern verlangt, nach körperlicher Arbeit an frischer Luft, nach einem Leben ohne den geringsten Komfort, nach ungezwungenem Wanderleben, wo der Mensch alle Äußerlichkeiten abschüttelt und selbst nicht weiß, was morgen mit ihm geschieht. Und deshalb ging er, als aus den Dneprniederungen die ersten Schleppkähne mit Melonen eintrafen, gern in das Artel, wo man ihn noch vom Vorjahr kannte und ihn schätzte wegen seines heiteren Gemüts, seiner Kameradschaftlichkeit und seiner meisterhaften Rechnungsführung.
    Gemeinsam ging die Arbeit leicht von der Hand. An jedem Schleppkahn arbeiteten gleichzeitig vier Gruppen zu je fünf Mann. Der erste hob die Melone aus dem Kahn und reichte sie dem zweiten, der auf der Bordwand stand. Der zweite warf sie dem dritten zu, der schon auf dem Kai stand, der dritte warf sie zum vierten, und der vierte übergab sie dem fünften, welcher auf dem Fuhrwerk stand und die Melonen in gleichmäßigen Reihen stapelte – dunkelgrüne, weiße und gestreifte Früchte. Das ist eine saubere, fröhliche und sehr flinke Arbeit. Hat sich eine gute Truppe zusammengefunden, dann ist es eine Freude, zuzusehen, wie die Melonen von Hand zu Hand fliegen, wie sie schnell und geschickt wie im Zirkus aufgefangen werden und wieder und wieder, pausenlos, fliegen, um schließlich den Wagen zu füllen. Schwer ist es nur für Neulinge, die sich noch nicht eingespielt, noch nicht das spezielle Tempogefühl entwickelt haben. Und es ist weniger schwierig, eine Melone zu fangen, als sie richtig zu werfen.
    Platonow erinnerte sich noch gut an seine ersten Versuche vom vorigen Jahr. Was für ein Geschimpfe, giftig, spöttisch, grob, prasselte auf ihn ein, als er zum dritten- oder viertenmal nicht aufpaßte und die Kette sprengte! Zwei Melonen, nicht im Takt geworfen, zerplatzten mit saftigem Krachen auf dem Pflaster, und Platonow, nun endgültig aus dem Konzept, ließ auch noch die fallen, die er gerade in den Händen hielt. Beim erstenmal verhielt man sich nachsichtig gegen ihn, am zweiten Tag aber wurden ihm für jeden Fehler fünf Kopeken pro Melone abgezogen. Als es das nächste Mal wieder passierte, drohten die Kollegen, ihn ohne jede Bezahlung sofort aus der Gruppe hinauszuwerfen. Noch jetzt erinnerte sich Platonow, wie ihn plötzlich die Wut packte. Ach so? dachte er, der Teufel soll euch holen! Denkt bloß nicht, ich gebe mir noch Mühe mit euren Melonen! Da und da und da! Dieser Zornesausbruch schien ihm augenblicklich zu helfen. Nachlässig fing er die Melonen, warf sie ebenso nachlässig weiter und spürte auf einmal zu seinem Erstaunen, daß er gerade jetzt mit Muskeln, Blick und Atmung ganz im Arbeitsrhythmus aufging. Da begriff er, das wichtigste war, überhaupt nicht daran zu denken, daß so eine Melone einen Wert darstellt, und schon klappte alles. Als er diese Kunst schließlich perfekt beherrschte, diente sie ihm lange Zeit als eine Art angenehmes, unterhaltsames athletisches Spiel. Doch auch das ging vorüber. Schließlich kam er sich wie ein willenloses, sich mechanisch bewegendes Rad einer Gesamtmaschinerie vor, die aus fünf Menschen und einer endlosen Reihe fliegender Melonen bestand.
    Jetzt war er der zweite Mann. Sich im gleichmäßigen Rhythmus niederbeugend, nahm er, ohne hinzusehen, die schwere, kalte, federnde Melone in beide Hände, schaukelte sie nach rechts, warf sie, ebenfalls ohne hinzusehen oder nur mit einem Blick aus dem Augenwinkel, nach unten und bückte sich sofort nach der nächsten. Unterdessen vernahm sein Ohr, wie die Melonen – schlapp, schlapp – von Hand zu Hand gingen, und schon bückte er sich abermals und warf wieder und atmete geräuschvoll aus.
    Die heutige Arbeit war sehr günstig: Weil sie recht eilig war, arbeitete das Artel, das aus vierzig Mann bestand, nicht für Tageslohn, sondern für Stücklohn, nach Anzahl der

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