Das sündige Viertel
ein Verrat an der korporativen Feindschaft gegenüber den Männern. Njura ahmt sehr treffend ihre Seufzer, ihr Stöhnen, ihre Schreie und leidenschaftlichen Worte nach, die sie im Augenblick der Ekstase nie zurückhalten kann und die durch zwei oder drei Wände in den Nachbarzimmern zu hören sind. Von Pascha geht das Gerücht, sie sei durchaus nicht aus Not, auch nicht durch Verführung oder Betrug in ein öffentliches Haus geraten, sondern freiwillig hergekommen, ihrem grauenvollen, unersättlichen Instinkt folgend. Doch die Chefin des Hauses und die beiden Verwalterinnen protegieren Pascha auf alle erdenkliche Weise und fördern ihre unsinnige Schwäche, denn auf Grund dieser Schwäche findet Pascha reißenden Absatz und erarbeitet vier- bis fünfmal soviel wie jede andere – sie erarbeitet so viel, daß sie an Feiertagen, wenn das Geschäft floriert, für »gewöhnliche« Besucher gar nicht zur Verfügung steht oder ihnen vorenthalten wird unter dem Vorwand, sie sei krank, denn die guten Stammgäste nehmen es übel, wenn man ihnen sagt, ihre Bekannte sei mit einem anderen beschäftigt. Solche Stammgäste hat Pascha jede Menge; viele sind ganz aufrichtig, wenngleich auf viehische Weise, in sie verliebt, und vor gar nicht allzu langer Zeit haben sogar zwei fast gleichzeitig den Wunsch geäußert, sie zu sich zu nehmen und auszuhalten: ein Georgier – Kommis in einem Geschäft für kachetische Weine – und ein Eisenbahnagent, ein sehr stolzer und sehr armer Adliger von hohem Wuchs, mit ausgefransten Manschetten und einem schwarzen runden Flicken am Gummiband anstelle des einen Auges. Pascha, passiv in allem außer in ihrer unpersönlichen Gier, wäre natürlich mit jedem gegangen, der sie wollte, doch die Administration des Hauses ist peinlichst darauf bedacht, in Paschas Person ihre Interessen zu wahren. Der nahe Wahnsinn flackert schon auf ihrem hübschen Gesicht, in ihren halbgeschlossenen Augen, die ständig rauschhaft, verzückt, demütig, verschämt und zugleich unanständig lächeln, auf ihren weichen, feuchten vollen Lippen, die sie immerzu leckt, in ihrem kurzen leisen Lachen, dem Lachen einer Idiotin. Und gleichzeitig ist sie – dieses wahre Opfer des gesellschaftlichen Temperaments – im alltäglichen Leben gutmütig, nachgiebig, völlig uneigennützig, und sie schämt sich ihrer übermäßigen Leidenschaftlichkeit sehr. Den Freundinnen gegenüber ist sie zärtlich, sie tauscht gern mit ihnen Umarmungen und Küsse und schläft gern mit einer im selben Bett, doch trotzdem scheinen alle sie ein wenig zu verachten.
»Manetschka, Liebste«, sagt Pascha schmeichelnd und berührt Manjas Hand, »leg mir die Karten, mein Goldkind.«
»Ooch«, erwidert Manja schmollend wie ein Kind. »Wir wollen noch spielen.«
»Manetschka, meine Gute, sei doch nicht so, mein Goldstück, meine Beste …«
Manja gibt nach und legt die Karten auf ihrem Schoß aus. Heraus kommt Herz-Haus, ein geringes finanzielles Interesse und ein Rendezvous im Pik-Haus in großer Gesellschaft mit dem Kreuz-König.
Pascha klatscht erfreut in die Hände.
»Ach, das ist mein Lewantschik! Na klar, er hat versprochen, heute zu kommen. Natürlich, Lewantschik.«
»Ist das dein Georgier?«
»Ja, ja, mein kleiner Georgier. Ach, der ist lieb. Den würde ich am liebsten nie wieder fortlassen. Weißt du, was er beim letztenmal zu mir gesagt hat? ›Wenn du noch länger im Freudenhaus bleibst, mach ich dich tot und mich selber auch.‹ Und dabei hat er mich mit den Augen angeblitzt.«
Shenja, die in der Nähe stehengeblieben ist, hört zu und fragt von oben herab: »Wer soll so was gesagt haben?«
»Lewan, mein kleiner Georgier. Ich mach dich tot und mich selber auch.«
»Dumme Gans. Er ist überhaupt kein Georgier, er ist bloß Armenier. Du bist eine verrückte dumme Gans.«
»Und doch ist er Georgier. Ich finde es ziemlich seltsam von dir …«
»Armenier, wenn ich's dir sage. Ich weiß das besser. Dumme Gans!«
»Warum beschimpfst du mich, Shenja? Ich habe doch nicht angefangen mit Beschimpfen.«
»Das fehlte noch, daß du anfängst. Dumme Gans! Kann dir's nicht egal sein, was er ist? Liebst du ihn etwa?«
»Und wie!«
»Bist wirklich eine dumme Gans. Und in den anderen, mit der Kokarde, in den Einäugigen, bist du in den auch verliebt?«
»Warum nicht? Ich achte ihn sehr. Er ist sehr solide.«
»Und in Kolka, den Buchhalter? Und in den Unternehmer? Und in Kartoffel-Antoschka? Und in den dicken Schauspieler? Pfui, du Schamlose!«
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