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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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beständig in einer Art heimlichem Lüsternheitswahn, und nur seine deutsche Selbstbeherrschung, seine Knauserigkeit und Feigheit halfen ihm, die ewig wache Gier im Zaum zu halten. Jedoch zwei-, dreimal im Jahr knapste er unter unglaublichen Entbehrungen fünf oder zehn Rubel aus seinem dürftigen Budget ab, indem er sich sein geliebtes Glas Bier am Abend versagte und bei Pferderennen wettete und gewann, wofür er riesige Strecken durch die Stadt zu Fuß gehen mußte. Dieses Geld gab er für Frauen aus, langsam und mit Geschmack, immer bemüht, den Genuß möglichst lange und möglichst billig zu haben. Und für sein Geld verlangte er sehr viel, fast Unmögliches: Seine sentimentale deutsche Seele sehnte sich vage nach Unschuld, Schüchternheit und Poesie in der Gestalt eines blonden Gretchens, aber als Mann träumte, wollte und forderte er auch, daß seine Liebkosungen die Frau in Ekstase, in Zittern und Beben und schließlich in süße Ermattung versetzen sollten.
    Das gleiche wollten übrigens alle Männer, sogar die schenkellahmsten, häßlichsten, krummsten und kraftlosesten, und die Erfahrung hatte die Frauen längst gelehrt, mit Stimme und Bewegungen hitzigste Leidenschaft zu imitieren und dennoch in den stürmischsten Momenten völlige Kaltblütigkeit zu bewahren.
    »Also dann lassen Sie wenigstens die Musiker eine Polka spielen. Damit die Damen tanzen können«, bat Ljuba mürrisch.
    Das kam ihm gelegen. Wenn die Musik spielte und Tanzgedränge herrschte, war es viel leichter, aufzustehen und eines der Mädchen aus dem Saal zu führen, als in dem allgemeinen Schweigen und in dieser gekünstelten Reglosigkeit.
    »Und wieviel kostet das?« fragte er vorsichtig.
    »Die Quadrille einen halben Rubel und einfache Tänze dreißig Kopeken. Geht das?«
    »Nun ja … bitte schön … Darauf kommt's mir nicht an …«, stimmte er zu, sich großzügig gebend: »An wen muß ich mich wenden?«
    »Na dort, an die Musiker.«
    »Warum nicht … mit Vergnügen … Herr Musiker, bitte einen von den leichten Tänzen«, sagte er und legte Silbermünzen aufs Klavier.
    »Was möchten Sie hören?« fragte Issai Sawwitsch, während er das Geld in die Tasche steckte. »Walzer, Polka, Mazurka?«
    »Ach, spielen Sie irgend etwas …«
    »Walzer, Walzer!« rief Vera, die sehr gern tanzte, von ihrem Platz aus.
    »Nein, Polka! … Walzer! … Einen ungarischen Tanz!… Einen Walzer!« baten die anderen.
    »Eine Polka sollen sie spielen«, entschied Ljuba eigensinnig. »Issai Sawwitsch, spielen Sie bitte eine Polka. Das ist mein Mann, und er bestellt für mich«, fügte sie hinzu, den Lehrer umhalsend. »Stimmt's, Papachen?«
    Doch er befreite sich aus ihrem Arm, indem er den Kopf einzog wie eine Schildkröte, und sie ging, ohne im geringsten beleidigt zu sein, mit Njura tanzen. Es drehten sich noch drei weitere Paare. Beim Tanzen waren alle Mädchen bemüht, die Taille so gerade wie möglich zu halten, den Kopf so unbeweglich wie möglich, mit völlig teilnahmslosem Gesichtsausdruck – das war eine Bedingung des guten Tones im Etablissement. In der allgemeinen Unruhe trat der Lehrer an die Kleine Manja heran.
    »Gehen wir?« fragte er und bot ihr den Arm.
    »Gehen wir«, entgegnete sie lachend.
    Sie führte ihn in ihr Zimmer, das so kokett eingerichtet war, wie es ein Schlafzimmer in einem Bordell der Mittelklasse nur sein kann: Kommode mit Häkeldeckchen, darauf ein Spiegel, ein Strauß Papierblumen, einige leere Bonbonnieren, eine Puderdose, die verblichene Fotografie eines flachsblonden jungen Mannes mit stolz-erstauntem Gesicht, einige Visitenkarten; über dem Bett, auf dem eine rosa Pikéedecke lag, hing ein Wandteppich mit der Abbildung eines türkischen Sultans, der sich mit der Wasserpfeife im Mund in seinem Harem verwöhnen ließ; an den Wänden noch einige Fotos dandyhafter Männer vom Typ Lakai oder Schauspieler; ein rosa Lämpchen hing an Schnüren von der Decke herab; ein runder Tisch mit grobgewirkter Decke, drei Wiener Stühle, eine Emaillewaschschüssel und ein Emaillekrug auf einem Hocker in der Ecke hinterm Bett.
    »Spendier mir Lafitte mit Limonade, mein Schatz«, bat die Kleine Manka, wie es üblich war, während sie ihr Mieder aufknöpfte.
    »Später«, antwortete der Lehrer streng. »Das wird von dir selbst abhängen. Und außerdem: was könnt ihr hier schon für Lafitte haben? Das wird eine rechte Brühe sein.«
    »Wir haben guten Lafitte«, widersprach das Mädchen gekränkt. »Zwei Rubel die Flasche. Aber wenn du

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