Das sündige Viertel
eine Unterbrechung, sagte, sie käme gleich zurück, legte sich im Schlafzimmer auf ihr Bett, seufzte tief auf und ging ins Jenseits, mit ruhigem Gesicht, mit friedlichem Greisenlächeln auf den Lippen. Issai Sawwitsch, der treue Gefährte ihres Lebensweges, stets ein wenig unterdrückt, stets die zweite Geige spielend, überlebte sie nur um einen Monat.
Bertotschka war die einzige Erbin. Sehr erfolgreich machte sie das komfortable Haus und auch ein Stück Land am Stadtrand zu Geld, sie ging, wie es vorgesehen war, eine glückliche Ehe ein und ist bis auf den heutigen Tag überzeugt, daß ihr Vater einen großen Weizen-Exporthandel über Odessa und Noworossisk nach Kleinasien betrieben hat.
Am Abend jenes Tages, als Shenjas Leichnam in die Anatomie überführt wurde, zu einer Stunde, da noch nicht ein einziger Gast, nicht einmal ein zufälliger, in der Kutschergasse erschien, versammelten sich auf Emma Eduardownas Befehl alle Mädchen im Saal. Niemand wagte sich darüber zu beklagen, daß sie an diesem schweren Tag, noch ganz unter dem Eindruck von Shenkas schrecklichem Tod, gezwungen wurden, wie üblich ihre grelle festliche Kleidung anzuziehen und in den hellerleuchteten Saal zu gehen, um zu tanzen, zu singen und mit ihrem nackten Körper lüsterne Männer anzulocken.
Zum Schluß betrat auch Emma Eduardowna selbst den Saal. Sie wirkte pompöser denn je – im schwarzen Seidenkleid, aus dem wie Gefechtstürme ihre, riesigen Brüste aufragten, auf die zwei fette Doppelkinne herabfielen, mit schwarz-seidenen Handschuhen und mit einer langen goldenen Kette, die dreimal um ihren Hals geschlungen war und an der, direkt vor dem Bauch, ein schweres Medaillon hing.
»Meine Damen!« begann sie eindringlich. »Ich muß … Aufstehen!« rief sie plötzlich im Befehlston. »Wenn ich spreche, müssen Sie mich stehend anhören.«
Alle wechselten verwunderte Blicke: solch eine Anordnung war etwas Neues im Etablissement. Dennoch erhoben sich die Mädchen eine nach der anderen, zögernd, mit großen Augen und offenen Mündern.
» Sie sollen* … von heute an sollen Sie mir die Achtung entgegenbringen, die Sie Ihrer Chefin schuldig sind«, begann Emma Eduardowna mit Nachdruck. »Vom heutigen Tage an ist das Etablissement von unserer lieben, verehrten Anna Markowna nach Recht und Gesetz auf mich, Emma Eduardowna Titzner, übergegangen. Ich hoffe, wir werden uns vertragen und Sie werden sich wie vernünftige, gehorsame und wohlerzogene Mädchen benehmen. Ich werde Ihnen wie eine Mutter sein, aber denken Sie immer daran, daß ich Faulheit, Trinkerei, Phantastereien und Unordnung aller Art nicht dulden werde. Die gute Madame Schäubes, muß ich schon sagen, hat die Zügel zu locker gehalten. O ja, ich werde wesentlich strenger sein. Disziplin über alles* , an erster Stelle. Es ist sehr schade, daß das russische Volk – faul, schmutzig und dumm, wie es ist – diese Regel nicht kapiert, doch seien Sie unbesorgt, ich bringe es Ihnen bei, zu Ihrem eigenen Nutzen. Ich sage ›zu Ihrem Nutzen‹, weil mein wichtigstes Anliegen ist, die Konkurrenz von Tröppel auszustechen. Ich wünsche, daß mein Kunde ein rechtschaffener Mann ist, nicht irgendein Scharlatan oder Landstreicher, irgendein Student oder Schauspieler. Ich wünsche, daß meine Damen die schönsten, wohlerzogensten, gesündesten und heitersten in der ganzen Stadt sind. Ich werde es nicht an Geld fehlen lassen, um eine schicke Einrichtung anzuschaffen, Sie bekommen Zimmer mit seidenbezogenen Möbeln und echten schönen Teppichen. Unsere Gäste werden kein Bier mehr bestellen, sondern nur edle Bordeaux- und Burgunderweine und Sekt. Merken Sie sich: Ein reicher, solider, erfahrener Kunde gibt sich niemals zufrieden mit Ihrer einfachen, gewöhnlichen, groben Liebe. Er braucht Würze, er braucht nicht Handwerk, sondern Kunst, doch das werden Sie bald lernen. Bei Tröppel nimmt man drei Rubel für einen Besuch und zehn Rubel für eine Nacht. Ich richte es so ein, daß Sie fünf Rubel für einen Besuch und fünfundzwanzig für die Nacht bekommen werden. Gold und Brillanten wird man Ihnen zum Geschenk machen. Ich richte es so ein, daß Sie es nicht nötig haben, in ein Etablissement niederer Klasse überzuwechseln und so weiter* … bis hin zu den schmutzigen Soldatenspelunken. Nein! Ich werde für jede von Ihnen monatliche Beträge aufbewahren und auf Ihren Namen bei der Bank deponieren, wo sie Zinsen und Zinseszinsen bringen. Und dann, wenn ein Mädchen sich abgearbeitet
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