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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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fühlt oder einen ordentlichen Mann heiraten möchte, dann steht ihm jederzeit ein kleines, aber sicheres Kapital zur Verfügung. So ist es in den besten Etablissements von Riga und überhaupt im Ausland üblich. Niemand soll von mir sagen, daß Emma Eduardowna eine Spinne ist, eine Megäre, eine Blutsaugerin. Aber Ungehorsam, Faulheit, Phantastereien und heimliche Liebschaften werde ich hart bestrafen, wer sich so etwas erlaubt, fliegt auf die Straße wie Unkraut oder erfährt noch Schlimmeres. Nun habe ich alles gesagt, was zu sagen war. Nina, komm zu mir. Und dann alle anderen, der Reihe nach.«
    Ninka trat unschlüssig an Emma Eduardowna heran und prallte vor Erstaunen zurück: Emma Eduardowna reichte ihr die rechte Hand mit herabhängenden Fingern und führte sie langsam an Ninkas Lippen.
    »Küssen!« sagte Emma Eduardowna eindringlich und fest, während sie die Augen zusammenkniff und den Kopf zurückwarf, majestätisch wie eine Prinzessin, die den Thron besteigt.
    Ninka war so verwirrt, daß ihre rechte Hand zuckte, um das Kreuz zu schlagen, doch sie riß sich zusammen, küßte laut schmatzend die dargereichte Hand und trat zur Seite. Nach ihr kamen auch Soja, Henriette, Wanda und die anderen. Nur Tamara blieb an der Wand stehen, mit dem Rücken zum Spiegel, zu jenem Spiegel, in den Shenka so gern geschaut und in dem sie sich bewundert hatte, wenn sie im Saal auf und ab ging.
    Emma Eduardowna starrte sie mit befehlendem, stierem Schlangenblick an, doch die Hypnose wirkte nicht. Tamara hielt diesem Blick stand, ohne sich abzuwenden, ohne mit der Wimper zu zucken, aber auch ohne jeden Gesichtsausdruck. Da ließ die neue Chefin die Hand sinken, verzog ihr Gesicht zur Andeutung eines Lächelns und sagte heiser: »Und mit Ihnen, Tamara, muß ich einzeln sprechen, unter vier Augen. Kommen Sie mit!«
    »Gewiß, Emma Eduardowna!« erwiderte Tamara ruhig.
    Emma Eduardowna ging in das kleine Zimmerchen, wo Anna Markowna gern Kaffee mit Sahne getrunken hatte, setzte sich aufs Sofa und wies Tamara einen Platz gegenüber an. Eine Zeitlang schwiegen die beiden Frauen und musterten einander forschend und argwöhnisch.
    »Sie haben richtig gehandelt, Tamara«, sagte Emma Eduardowna schließlich. »Es war klug von Ihnen, daß Sie nicht, wie diese Schäfchen, gekommen sind, mir die Hand zu küssen. Aber ich hätte das sowieso verhindert. Ich wollte, wenn Sie zu mir kommen, sogleich, in Gegenwart aller, ihre Hand drücken und Ihnen den Posten der ersten Verwalterin anbieten – Sie verstehen? –, den Posten meiner wichtigsten Mitarbeiterin, und zwar zu sehr günstigen Bedingungen …«
    »Danke …«
    »Nein, warten Sie, unterbrechen Sie mich nicht. Lassen Sie mich ausreden, und dann äußern Sie Ihr Für und Wider. Aber erst erklären Sie mir bitte: Als Sie heute morgen mit dem Revolver auf mich zielten, was wollten Sie da? Mich wirklich umbringen?«
    »Im Gegenteil, Emma Eduardowna«, widersprach Tamara ehrerbietig. »Im Gegenteil: Mir schien, Sie wollten mich schlagen.«
    »Pfui! Was sagen Sie da, Tamarotschka! Haben Sie nicht bemerkt, daß ich mir in der ganzen Zeit unserer Bekanntschaft niemals erlaubt habe, die Hand gegen Sie zu heben, daß ich Sie nicht einmal mit einem groben Wort bedacht habe? Wo denken Sie hin! Ich stelle Sie nicht gleich mit diesem russischen Kroppzeug. Gott sei Dank bin ich eine erfahrene Frau und kenne die Menschen. Ich sehe doch, daß Sie ein gut erzogenes Fräulein sind, wesentlich gebildeter als beispielsweise ich selbst. Sie sind fein, elegant und klug. Sie beherrschen Fremdsprachen. Ich bin überzeugt, Sie verstehen sogar allerhand von Musik. Und schließlich, um es freiheraus zu sagen, ich bin ein wenig … wie soll ich es Ihnen sagen … ich war schon immer ein wenig verliebt in Sie. Und da wollten Sie mich erschießen! Mich, einen Menschen, der Ihnen ein hervorragender Freund sein könnte! Was sagen Sie dazu?«
    »Gar nichts, Emma Eduardowna«, entgegnete Tamara im demütigsten und aufrichtigsten Ton. »Das war alles ganz einfach. Ich hatte zuvor unter Shenkas Kissen den Revolver gefunden und brachte ihn, um ihn an Sie zu übergeben. Ich wollte Sie nicht stören, als Sie den Brief lasen, doch dann wandten Sie sich zu mir um, und ich hielt Ihnen den Revolver hin und wollte sagen: Schauen Sie nur, Emma Eduardowna, was ich gefunden habe. Denn, sehen Sie, es hat mich doch schrecklich überrascht, daß unsere verstorbene Shenja, wenn sie einen Revolver zur Verfügung hatte, solch furchtbaren

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