Das sündige Viertel
erfüllen. Es wird Sie nichts kosten. Ich hoffe nämlich, Sie erlauben mir und den anderen Mädchen, der verstorbenen Shenja das Geleit zum Friedhof zu geben.«
Emma Eduardowna rümpfte die Brauen.
»Oh, wenn Sie es wollen, liebe Tamara, dann habe ich nichts gegen Ihre Laune. Nur wozu? Einem Toten hilft das nicht und macht ihn nicht wieder lebendig. Es läuft nur auf Sentimentalität hinaus … Aber gut! Nur, Sie wissen doch selbst, daß nach Ihrem Gesetz Selbstmörder nicht beerdigt werden oder – ich weiß es nicht genau – wohl in eine schmutzige Grube hinter dem Friedhof geworfen werden.«
»Ach nein, lassen Sie das nur meine Sorge sein. Wenn es auch eine Laune von mir ist, aber gestatten Sie sie mir, liebe, teure, reizende Emma Eduardowna! Dafür verspreche ich Ihnen, daß es meine letzte sein wird. Danach werde ich mich verhalten wie ein kluger und gehorsamer Soldat unter dem Kommando eines talentierten Generals.«
»Na gut!«* gab Emma Eduardowna seufzend nach. »Ich kann Ihnen nichts abschlagen, mein Kind. Lassen Sie sich die Hand drücken. Wir wollen gemeinsam arbeiten und wirken zum allgemeinen Wohl.«
Sie öffnete die Tür und rief durch den Saal in die Diele: »Simeon!« Als Simeon im Zimmer erschien, befahl sie ihm nachdrücklich und feierlich: »Bringen Sie uns eine halbe Flasche Champagner, aber guten – Rederer demi sec – und schön kühl. Dalli!« befahl sie dem Portier, der sie aus großen Augen anstarrte. »Wir beide, Tamara, wollen anstoßen auf das neue Geschäft, auf unsere herrliche, leuchtende Zukunft.«
Es heißt, daß Tote Glück bringen. Wenn dieser Aberglaube einen rationellen Kern hat, so bestätigte er sich an diesem Sonnabend klarer denn je: Sogar für sonnabendliche Verhältnisse war der Besucherstrom außergewöhnlich stark. Freilich, wenn die Mädchen auf dem Korridor an Shenkas ehemaligem Zimmer vorübergingen, beschleunigten sie den Schritt, schielten ängstlich dorthin, einige bekreuzigten sich sogar. Doch später in der Nacht wich der Schrecken des Todes allmählich, sie gewöhnten sich daran. Alle Zimmer waren besetzt, und im Saal spielte unentwegt der neue Geiger, ein flotter, glattrasierter junger Mann, den der Pianist mit dem kranken Auge irgendwo aufgestöbert und mitgebracht hatte.
Tamaras Ernennung zur Verwalterin wurde mit kaltem Befremden, mit abweisendem Schweigen aufgenommen. Doch Tamara paßte einen günstigen Augenblick ab und flüsterte der Blonden Manka zu: »Höre, Manja! Sag ihnen allen, sie sollen sich nichts daraus machen, daß ich Verwalterin geworden bin. Das muß sein. Sie sollen tun, was sie wollen, nur mich nicht im Stich lassen. Ich bin wie bisher, für alle Freund und Fürsprecher … Und später sehen wir weiter.«
7
Tags darauf, am Sonntage hatte Tamara viel zu erledigen. Sie war fest und unerschütterlich von der Idee besessen, der toten Freundin allen Umständen zum Trotz ein Begräbnis zu bereiten, wie man es den Allernächsten bereitet – ein christliches Begräbnis mit allem Trauerpomp, wie er im Buche steht.
Sie gehörte zu jenen seltsamen Naturen, die unter der äußeren Hülle träger Gelassenheit, hochmütigen Schweigens und egoistisch anmutender Verschlossenheit eine ungewöhnliche Energie in sich bergen, die sozusagen immer auf der Lauer liegt, sich vor unnützer Verausgabung hütet, jedoch im Nu aufleben und vorwärtsstreben kann, ohne Rücksicht auf Hindernisse.
Um zwölf Uhr fuhr sie mit einer Droschke in die Altstadt hinunter, sie ließ in eine enge Straße, die zum Messegelände führte, einbiegen und vor einer ziemlich schmuddeligen Teestube halten. Der Kutscher sollte warten. In der Teestube fragte sie einen rothaarigen Jungen mit rundem Haarschnitt und pomadisiertem Scheitel, ob Senka Woksal gekommen sei. Der kleine Bedienstete, der Tamara, seiner höflichen Bereitwilligkeit nach zu urteilen, schon lange kannte, antwortete, daß von ihm »nicht die Spur da ist, Fräulein; er – Semjon Ignatitsch – war noch nicht hier und wird so bald auch nicht kommen, weil – er ist gestern im ›Transvaal‹ gewesen und hat Billard gespielt bis früh um sechs, und jetzt ist er höchstwahrscheinlich zu Hause, auf seiner Bude im ›Pereputje‹, und wenn das Fräulein befehlen, dann kann ich gleich mal hinflitzen.«
Tamara bat um Papier und Bleistift und schrieb unverzüglich ein paar Worte. Dann gab sie dem Kellner den Zettel und fünfzig Kopeken Trinkgeld und fuhr weiter.
Ihr nächster Besuch galt der Künstlerin Rowinskaja,
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