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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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Straße ein Dreierbrötchen stiehlt, verurteilen wir, aber wenn ein Bankdirektor eine Million, die ihm nicht gehört, für Traberhengste und Zigarren ausgegeben hat, billigen wir ihm mildernde Umstände zu.«
    »Tut mir leid, diesen Vergleich verstehe ich nicht«, erwiderte Jartschenko reserviert. »Aber nun ist schon alles gleich, gehen wir.«
    »Um so mehr«, sagte Lichonin, dem Privatdozenten den Vortritt lassend, »um so mehr, als dieses Haus so viele historische Überlieferungen birgt. Freunde! Dutzende von Studentengenerationen blicken von diesen Garderobenhaken auf uns herab, und außerdem zahlen nach geltendem Recht Kinder und in Ausbildung Befindliche hier die Hälfte, wie im Panoptikum. Ist es nicht so, Bürger Simeon?«
    Simeon sah es nicht gern, wenn große Gesellschaften kamen – das versprach meist in absehbarer Zeit einen Skandal; und Studenten verachtete er ohnehin, wegen ihrer ihm wenig verständlichen Sprache, wegen ihrer Neigung zu leichtsinnigen Späßen, wegen ihrer Gottlosigkeit und vor allem, weil sie ständig gegen Ordnung und Obrigkeit rebellierten. An jenem Tag, als auf dem Bessarabischen Platz die Studenten von Kosaken, Fleischhändlern, Mehlhändlern und Fischverkäufern verprügelt wurden, war Simeon, kaum daß er davon hörte, in eine vorüberfahrende Droschke gesprungen und, im Wagen stehend wie ein Polizeimeister, zum Kampfplatz gerast, um dabeizusein. Am liebsten waren ihm die soliden, dicken, älteren Herren, die einzeln und heimlich kamen, vorsichtig aus der Diele in den Saal schauten, weil sie Bekannte zu treffen fürchteten, und sehr bald und eilig wieder gingen, ein reichliches Trinkgeld zurücklassend. Solche Leute sprach er stets mit »Euer Hochwohlgeboren« an.
    Deshalb erwiderte er, während er Jartschenko den leichten grauen Mantel abnahm, auf Lichonins Scherz grimmig und vieldeutig: »Ich bin hier nicht Bürger, sondern Rausschmeißer.«
    »Wozu ich Sie beglückwünschen darf, entgegnete Lichonin mit höflicher Verbeugung.
    Im Saal war es voll. Die Kommis, die sich satt getanzt hatten, saßen rot und schweißnaß neben ihren Damen und fächelten sich mit ihren Taschentüchern Kühlung zu; sie rochen scharf nach altem Ziegenfell. Mischka, der Sänger, und sein Freund, der Buchhalter, beide glatzköpfig, mit weichem, flaumigem Haar rund um die kahlen Schädel, beide mit trüben, perlmuttfarbenen trunkenen Augen, saßen sich gegenüber, auf ein Marmortischchen gestützt, und versuchten fortwährend unisono zu singen, mit solch zitternden, hüpfenden Stimmen, als trommele ihnen jemand von hinten an die Halswirbel: »Sie aaahnen die Waaahrheit«, während Emma Eduardowna und Sossja ihnen mit vereinten Kräften zuredeten, den Unfug bleibenzulassen. Wanka Stehauf döste auf einem Stuhl friedlich vor sich hin, mit hängendem Kopf, das eine lange Bein über das andere geschlagen und mit den verschränkten Händen das spitze Knie umfassend.
    Die Mädchen erkannten gleich einige der Studenten und liefen ihnen entgegen.
    »Tamarotschka, dein Mann ist gekommen – Wolodenka. Und meiner auch! Mischka!« kreischte Njura und warf sich dem langen, seriösen Petrowski mit der großen Nase an den Hals. »Grüß dich, Mischenka. Warum warst du so lange nicht hier? Ich hatte schon Sehnsucht nach dir.«
    Jartschenko blickte peinlich berührt in die Runde.
    »Wir hätten gern … Wissen Sie … ein separates Zimmer«, sagte er verlegen zu der herantretenden Emma Eduardowna. »Und bringen Sie uns bitte Rotwein. Und Kaffee auch. Nun, Sie wissen schon.«
    Jartschenko flößte Bediensteten und Oberkellnern durch seine elegante Kleidung und sein höfliches, aber herrschaftliches Benehmen stets Vertrauen ein. Emma Eduardowna nickte eifrig mit dem Kopf, wie ein altes, fettes Zirkuspferd.
    »Gewiß, gewiß. Bitte hier herein, meine Herren, ins Gastzimmer. Gewiß, gewiß … Was für Likör? Wir haben nur Benediktiner. Also Benediktiner? Gewiß, gewiß … Und gestatten Sie auch den Damen einzutreten?«
    »Wenn es sich nicht vermeiden läßt«, seufzte Jartschenko und zuckte die Achseln.
    Und schon schlüpften die Mädchen, eins nach dem anderen, in das kleine Gastzimmer mit den grauen Plüschmöbeln und der blauen Lampe. Sie kamen herein, gaben – ihnen selbst ungewohnt und daher ungeschickt – reihum die Hand und nannten halblaut und kurz ihre Namen: Manja, Katja, Ljuba … Sie setzten sich dem einen oder anderen auf den Schoß, legten den Arm um seinen Nacken und fingen an zu betteln, wie sie es

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