Das sündige Viertel
damit zu tun, wir sind gegen die Todesstrafe, schuld sind allein Staatsanwalt und Henker.‹«
»Klug bemerkt und teilweise auch richtig, Gawrila Petrowitsch. Aber gerade auf uns brauchen wir diesen Vergleich nicht zu beziehen. Sehen Sie, man kann eine schwere Krankheit doch nicht durch Fernbehandlung heilen, ohne den Patienten selbst gesehen zu haben. Und schließlich werden wir alle, die wir jetzt hier auf der Straße stehen und die Passanten stören, eines Tages bei der Ausübung unserer Pflichten mit dem furchtbaren Problem der Prostitution konfrontiert werden, und noch dazu der russischen Prostitution! Lichonin, ich, Borja Sobaschnikow und Pawlow als Juristen, Petrowski und Tolpygin als Mediziner. Gewiß, Weltmann hat ein spezielles Fachgebiet, die Mathematik. Aber er wird ja Pädagoge sein, Erzieher der Jugend, und – zum Teufel auch – sogar Vater! Wenn man ein Schreckgespenst an die Wand malen will, dann ist es am besten, es sich vorher erst einmal anzusehen. Und was Sie betrifft, Gawrila Petrowitsch, den Fachmann für tote Sprachen und die künftige Leuchte der Totengräberei, ist es denn für Sie nicht auch wichtig und lehrreich, Vergleiche anzustellen, sagen wir, zwischen den zeitgenössischen öffentlichen Häusern und irgendwelchen pompejischen Lupanaren oder dem Institut der heiligen Prostitution in Theben und in Ninive?«
»Bravo, Ramses, hervorragend!« lärmte Lichonin. »Also, wozu noch lange diskutieren, Leute? Macht kurzen Prozeß mit dem Professor und setzt ihn in eine Droschke.«
Lachend und schubsend umringten die Studenten Jartschenko, hakten ihn unter, umfaßten seine Taille. Es zog sie alle gleichermaßen zu den Frauen, doch außer Lichonin hatte keiner den Mut gehabt, den Anfang zu machen. Nun aber reduzierte sich diese komplizierte, unangenehme und heuchlerische Angelegenheit glücklicherweise auf einen einfachen, harmlosen Spaß, den man mit einem älteren Gefährten trieb. Jartschenko sperrte sich, wurde ärgerlich, lachte zugleich und versuchte sich loszureißen. Doch in diesem Augenblick trat an die sich balgenden Studenten ein stattlicher Polizist mit schwarzem Schnurrbart heran, der sie schon lange argwöhnisch und feindselig beobachtet hatte.
»Meine Herren Studenten, bitte keine Zusammenrottung. Das ist verboten! Gehen Sie weiter!«
Der ganze Haufen bewegte sich vorwärts. Jartschenko gab allmählich etwas nach.
»Meine Herren, ich wäre schon bereit, mit Ihnen zu fahren. Nur denken Sie nicht, mich hätten die Sophismen des ägyptischen Pharaos Ramses überzeugt … Nein, es tut mir einfach leid, die Gesellschaft zu verlassen … Aber ich stelle eine Bedingung: Wir werden dort trinken, ein bißchen spintisieren, lachen und so weiter, aber nicht mehr, nichts Schmutziges … Es wäre beschämend und kränkend, wenn wir, die Blüte der russischen Intelligenz, beim Anblick des erstbesten Rockes schwach würden und uns das Wasser im Munde zusammenliefe.«
»Ich schwöre!« sagte Lichonin und hob die Hand.
»Ich kann für mich bürgen«, sagte Ramses.
»Ich auch! Ich auch! Wirklich, Herrschaften, geben wir unser Wort darauf … Jartschenko hat recht«, fielen die anderen ein.
Sie nahmen zu zweit und zu dritt in Droschken Platz, deren Kutscher ihnen schon längst zähneknirschend und fluchend in langer Reihe folgten, und fuhren los. Lichonin setzte sich sicherheitshalber selbst neben den Privatdozenten, legte seinen Arm um ihn und ließ auf ihren Knien den kleinen Tolpygin Platz nehmen, ein reizendes rosiges Jüngelchen, auf dessen Wangen, ungeachtet seiner dreiundzwanzig Jahre, noch kindlich weicher, heller Flaum schimmerte.
»Zu Doroschenko!« rief Lichonin allen abfahrenden Kutschen nach. »Bei Doroschenko anhalten«, wiederholte er, sich nach hinten wendend.
An Doroschenkos Restaurant machten alle halt, betraten den Gastraum und drängten sich um die Theke. Alle waren satt, keiner wollte etwas trinken oder essen. Aber im Herzen eines jeden von ihnen glomm noch dunkel das Bewußtsein, daß sie im Begriff waren, etwas unnötig Schändliches zu tun, daß sie im Begriff waren, an einem verkrampften, künstlichen und durchaus nicht vergnüglichen Vergnügen teilzunehmen. Und jeder hatte das Bestreben, sich durch Trinken in jenen benebelten und dämmerigen Zustand zu versetzen, wo einem alles gleichgültig ist und wo der Kopf nicht weiß, was Arme und Beine tun und was die Zunge schwatzt. Und offenbar spürten nicht nur die Studenten, sondern alle zufälligen oder ständigen
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