Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
Vom Netzwerk:
dem ein kurzes, kaum das dicke Hinterteil bedeckendes Russenhemd, ein Paar modische Reithosen, ein Zwicker an breitem schwarzem Band und eine Mütze nach preußischem Muster geckenhaftes Aussehen verliehen. »Ist es denn anständiger, die Liebe des eigenen Dienstmädchens auszunutzen oder insgeheim mit der Frau eines anderen anzubändeln? Was kann ich dafür, wenn ich unbedingt eine Frau brauche!«
    »Ach was, unbedingt!« sagte Jartschenko ärgerlich und winkte resigniert ab.
    Doch nun mischte sich ein Student ein, der im Freundeskreis Ramses genannt wurde. Er war ein kleiner Mann mit gelblichbrauner Hautfarbe und Höckernase; sein glattrasiertes Gesicht wirkte dreieckig durch die breite Stirn mit den Geheimratsecken, die eingefallenen Wangen und das spitze Kinn. Für einen Studenten führte er einen recht seltsamen Lebenswandel. Während seine Kollegen sich abwechselnd mit Politik, Liebe, Theater und ein wenig auch mit der Wissenschaft befaßten, widmete sich Ramses voll und ganz dem Studium aller möglichen Zivilklagen und Rechtsansprüche, den kniffligen Raffinessen von Vermögens-, Familien-, Grundstücks- und ähnlichen Prozessen, dem Auswendiglernen und der logischen Analyse von Kassationsentscheidungen. Ganz und gar freiwillig, keinesfalls wegen des Geldes hatte er ein Jahr lang bei einem Notar als Kontorist gearbeitet, ein anderes Jahr bei einem Friedensrichter als Schriftführer, und das ganze vergangene Jahr, das sein letztes Studienjahr war, war er bei der Lokalpresse verantwortlich für Mitteilungen der Stadtverwaltung und bekleidete den bescheidenen Posten eines Sekretärsgehilfen in der Syndikatsleitung der Zuckerfabrikanten. Als dieses Syndikat gegen eines seiner Mitglieder, Oberst Baskakow, der entgegen der Absprache einen Restposten Zucker verkauft hatte, den bewußten Prozeß anstrengte, da hatte Ramses von Anfang an die Entscheidung, die der Senat dann in dieser Sache traf, vorausgesagt und sehr präzise motiviert.
    Obwohl er noch relativ jung war, wurde sein Urteil von ziemlich bekannten Juristen eingeholt – ein wenig herablassend zwar, aber immerhin. Keiner, der Ramses näher kannte, zweifelte daran, daß er eine glänzende Karriere vor sich hatte, und auch Ramses selbst machte gar kein Hehl daraus, daß er sicher war, es bis zu seinem fünfunddreißigsten Lebensjahr allein durch eine Praxis als Anwalt für Zivilrecht zu einer Million zu bringen. Häufig trugen seine Kommilitonen ihm den Vorsitz in Versammlungen und die Funktion als Studentenvertreter an, doch auf diese Ehre verzichtete Ramses jedesmal, wobei er sich auf Zeitmangel berief. Die Teilnahme an kollegialen Schiedsgerichten indessen lehnte er nicht ab, und seine Beweisführungen – stets unwiderlegbar logisch – besaßen die erstaunliche Eigenschaft, Streitfälle gütlich beizulegen, zur Zufriedenheit beider Seiten. So wie Jartschenko wußte er genau um den Preis, den es kostete, bei der studentischen Jugend populär zu sein, und wenn er auch eine leise Menschenverachtung hegte und zur Überheblichkeit neigte, so ließ er dies doch niemals durchblicken, mit keiner noch so geringen Bewegung seines schmalen, klugen, energischen Mundes.
    »Niemand zwingt Sie, Gawrila Petrowitsch, unbedingt einen Sündenfall zu begehen«, sagte Ramses begütigend. »Wozu dieses Pathos und diese Melancholie, wo die Dinge doch ganz einfach liegen? Eine Gesellschaft junger russischer Gentlemen möchte den Rest der Nacht bescheiden und freundschaftlich gemeinsam verbringen, sich amüsieren, singen und ein paar Glas Wein und Bier zu sich nehmen. Aber alles ist jetzt geschlossen, mit Ausnahme der bewußten Häuser. Ergo …«
    »Folglich amüsieren wir uns bei den käuflichen Frauen? Bei den Prostituierten? Im Freudenhaus?« fiel Jartschenko ihm spöttisch und feindselig ins Wort.
    »Und wenn schon! Einen Philosophen, den man beleidigen wollte, plazierte man bei Tisch neben den Musikern. Er setzte sich und sagte: ›Das ist eine zuverlässige Methode, den letzten Platz zum ersten zu machen.‹ Und schließlich, ich wiederhole es: Wenn Ihr Gewissen Ihnen nicht gestattet, eine Frau zu kaufen, wie Sie sich ausdrücken, dann können Sie doch hingehen und wieder weggehen und dabei Ihre Unschuld in ihrer ganzen unberührten Blüte durchaus bewahren.«
    »Sie überspannen den Bogen, Ramses«, widersprach Jartschenko ärgerlich. »Sie erinnern mich an jene Kleinbürger, die in aller Herrgottsfrühe einer Hinrichtung zusehen und dabei sagen: ›Wir haben nichts

Weitere Kostenlose Bücher