Das sündige Viertel
gemeinen Zunge …«
»Meine Zunge ist nicht gemein, ich nehme nur Anteil«, erwiderte die Frau dreist. »Du trägst ja Hörner, du Dummkopf. Selber treibst du dich bei den Prostituierten herum, und dann verlangst du noch, daß deine Frau dich nicht betrügt. Hast dir den rechten Ort ausgesucht zum Geifern und Jammern. Und warum fängst du von deinen Kindern an, du Unglücksvater? Glotz mich nicht so an und knirsche nicht mit den Zähnen! Mich schüchterst du nicht ein! Selber Hure!«
Es erforderte viel Mühe und Überredungskunst von seiten Jartschenkos, den Schauspieler und die Blonde Manka zu beruhigen, die immer Skandale anzettelte, wenn sie Benediktiner getrunken hatte. Schließlich brach der Schauspieler in Tränen aus, greisenhaft laut und häßlich, er schneuzte sich, und Henriette führte ihn in ihr Zimmer.
Alle waren schon müde und erschöpft. Die Studenten kehrten nacheinander aus den Schlafzimmern zurück, und getrennt von ihnen kamen mit gleichgültigen Gesichtern ihre Zufallsgeliebten. Und wirklich, sowohl die einen als auch die anderen ähnelten Fliegen, männlichen und weiblichen, die sich gerade auf der Fensterscheibe getrennt hatten. Sie gähnten, rekelten sich, und auf ihren vor Schlaflosigkeit blassen, ungesund glänzenden Gesichtern lag noch lange ein unwillkürlicher Ausdruck von Überdruß und Ekel. Und als sie sich vor der Abfahrt der Herren voneinander verabschiedeten, glitzerte in ihren Augen etwas wie Feindschaft, als hätten sie an ein und demselben schmutzigen und unnötigen Verbrechen teilgehabt.
»Was hast du jetzt vor?« fragte Lichonin den Journalisten leise.
»Ach, ich weiß selbst nicht. Ich wollte in Issai Sawwitschs Zimmer übernachten, aber nun tut es mir leid, den schönen Morgen zu versäumen. Ich werde ein Bad nehmen, und dann steig ich auf den Dampfer und fahre ins Lipski-Kloster zu einem versoffenen Schwarzkittel, den ich kenne. Warum fragst du?«
»Ich möchte dich bitten, noch ein wenig zu bleiben, wenn die anderen weg sind. Ich muß etwas Wichtiges mit dir besprechen.«
»In Ordnung.«
Als letzter ging Jartschenko. Er berief sich auf Kopfschmerzen und Müdigkeit. Doch kaum war er aus dem Haus, da ergriff der Journalist Lichonin am Arm und führte ihn in den verglasten Windfang an der Vortreppe.
»Sieh mal«, sagte er und wies auf die Straße.
Durchs orangefarbene Glas des bunten Fensterchens sah Lichonin den Privatdozenten, der gerade bei Tröppel klingelte. Eine Minute später wurde die Tür geöffnet, und Jartschenko verschwand im Haus.
»Woher hast du das gewußt?« fragte Lichonin erstaunt.
»Kleinigkeit. Ich habe sein Gesicht gesehen und habe gesehen, wie seine Hände Verkas Trikot streichelten. Die anderen haben sich weniger geniert. Aber der ist penibel.«
»Na schön, gehen wir«, sagte Lichonin. »Ich werde dich nicht lange aufhalten.«
12
Von den Mädchen waren nur noch zwei im Chambre séparée: Shenja, in einem Nachtjäckchen, und Ljuba, die während der Unterhaltung schon lange geschlafen hatte, zusammengerollt in einem großen Plüschsessel. Ljubas frisches, sommersprossiges Gesicht hatte einen sanften, beinahe kindlichen Ausdruck angenommen, und auf ihren Lippen lag noch das lichte, stille und zärtliche Lächeln, das sie im Schlaf umspielt hatte. Die Luft im Raum war blau und beißend von dichtem Tabaksqualm, an den Kerzen in den Kandelabern waren die herabgeflossenen Wachstropfen erstarrt; der Tisch, mit Kaffee und Wein bekleckert und voller Apfelsinenschalen, sah abscheulich aus.
Shenja saß mit angezogenen Beinen auf dem Sofa, die Knie mit den Händen umspannend. Und abermals war Platonow erschüttert vom düsteren Glanz ihrer tiefen Augen, die unter den drohend bis zur Nasenwurzel zusammengezogenen dunklen Brauen wie eingesunken wirkten.
»Ich lösche die Kerzen«, sagte Lichonin.
Morgendliches Halbdämmer drang durch die Ritzen der Fensterläden ins Zimmer, kraftlos und schläfrig. Dünner Kräuselrauch stieg von den Kerzendochten auf. In dichten blauen Schwaden wogte der Tabaksqualm, doch ein Sonnenstrahl, der durch die herzförmige Öffnung des Fensterladens fiel, durchschnitt den Raum wie ein heiteres goldenes Schwert, auf dem Stäubchen tanzten, und spielte flimmernd wie flüssiges Gold auf den Tapeten.
»So ist es besser«, sagte Lichonin und setzte sich. »Das Gespräch wird kurz sein, aber … weiß der Teufel, wie soll ich anfangen …«
Nervös sah er Shenja an.
»Ich gehe lieber?« sagte sie gleichmütig.
»Nein, bleib
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