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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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geschlagen? Und warum scheint es mir heute, als sei ich selbst schuld am Übel der Prostitution – schuld durch mein Schweigen, meine Gleichgültigkeit, mein indirektes Dulden? Was soll ich tun, Platonow?« rief der Student aus, und Gram schwang in seiner Stimme.
    Platonow schwieg und sah ihn aus schmalen Augen an. Aber Shenja sagte auf einmal in giftigem Ton: »Mach es doch so wie die eine Engländerin … Einmal kam zu uns so eine rothaarige alte Hexe. Muß wohl eine sehr wichtige Persönlichkeit gewesen sein, denn sie kam mit einem ganzen Gefolge … lauter Beamte … Und vorher kam der Assistent vom Polizeikommissar zusammen mit dem Revieraufseher Körbesch. Der Assistent hat uns ganz ausdrücklich gewarnt: ›Wenn ihr Schlampen, ihr dreckigen Huren nur ein einziges grobes Wort verlauten laßt oder was, dann bleibt von eurem Etablissement kein Stein auf dem anderen, und euch Weiber vertrimme ich alle auf dem Revier und lasse euch im Gefängnis verschimmeln.‹ Na, und dann kam die Alte. Sie hat auf ausländisch gebrabbelt und gebrabbelt, hat immerzu mit der Hand zum Himmel gezeigt, schließlich hat sie jeder von uns ein Evangelium für fünf Kopeken geschenkt und ist wieder abgehauen. Machen Sie's doch genauso, mein Lieber.«
    Platonow lachte schallend. Doch als er das naive, traurige Gesicht Lichonins sah, der einfach nichts begriffen hatte und auf Spott gar nicht gefaßt war, unterdrückte er sein Gelächter und sagte ernsthaft: »Du kannst gar nichts machen, Lichonin. Solange es Privateigentum gibt, so lange gibt es auch Elend. Solange es die Ehe gibt, stirbt auch die Prostitution nicht aus. Weißt du, wer die Prostitution immer aufrechterhalten und protegieren wird? Das sind die sogenannten anständigen Leute, ehrbare Familienväter, tadellose Ehemänner, liebende Brüder. Sie werden immer einen Anlaß finden, die gewerbsmäßige Unzucht zu legalisieren, abzusichern und Normen dafür festzulegen, denn sie wissen nur zu gut, daß sie sonst in ihre Schlafgemächer und Kinderzimmer eindringt. Für sie ist die Prostitution das Ablenken fremder Wollust von ihrem persönlichen, gesetzlichen Alkoven. Und ein ehrbarer Familienvater ist ja selbst nicht abgeneigt, sich heimlichen Liebesfreuden hinzugeben. Es kann einem doch auch wirklich über werden, immer dasselbe: Gattin, Dienstmädchen und Nebenfrau. Im Grunde ist der Mann ein sehr zur Vielweiberei bereites Tier. Und für die Liebesinstinkte eines Hahnes ist es immer angenehm, wenn sie sich in solch üppiger Brutstätte wie bei Tröppel oder bei Anna Markowna entfalten können. Ei gewiß, ein ausgeglichener Gatte oder glücklicher Vater von sechs erwachsenen Töchtern wird stets laut schreien, daß die Prostitution schrecklich ist. Er gründet sogar mit Hilfe von Lotterie und Liebhaberaufführungen eine Gesellschaft zur Rettung gefallener Frauen oder ein Asyl im Namen der heiligen Magdalena. Aber die Existenz der Prostitution segnet und unterstützt er.«
    »Magdalenenasyl!« wiederholte Shenja mit leisem Lachen, das voll von lange angestautem, immer noch nicht überwundenem Haß war.
    »Ja, ich weiß, daß all diese heuchlerischen Maßnahmen Unfug und blanker Hohn sind«, warf Lichonin ein. »Aber wenn ihr mich auch lächerlich und dumm findet – ich will nicht nur mitleidiger Beobachter bleiben, der am Straßenrand sitzt, aufs Feuer schaut und sagt: ›Ach Gott, es brennt … wahrhaftig, es brennt! Die Menschen verbrennen ja auch!‹, während er selber nur wehklagt und sich auf die Schenkel schlägt.«
    »Also«, sagte Platonow streng, »dann nimmst du eine Spielzeugspritze und gehst damit das Feuer löschen?«
    »Nein!« rief Lichonin heftig. »Vielleicht – wer weiß? –, vielleicht kann ich wenigstens eine lebendige Seele retten … Darum wollte ich dich ja gerade bitten, Platonow, du sollst mir helfen. Aber ich flehe dich an, ohne diesen desillusionierenden Spott …«
    »Du willst ein Mädchen hier rausholen? Es retten?« fragte Platonow und sah ihn aufmerksam an. Jetzt begriff er, worauf das ganze Gespräch abzielte.
    »Ja … ich weiß nicht … ich will's versuchen«, erwiderte Lichonin unsicher.
    »Die kommt wieder zurück«, sagte Platonow.
    »Die kommt zurück«, wiederholte Shenja überzeugt.
    Lichonin ging zu ihr, ergriff ihre Hände und flüsterte mit zitternder Stimme: »Shenetschka … vielleicht Sie … Ja? Ich will Sie doch nicht zur Geliebten … ich will Sie als Freund … Ganz einfach. Sie erholen sich ein halbes Jahr, und dann lernen

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