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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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wir ein Handwerk … und lesen werden wir …«
    Shenja riß ärgerlich ihre Hände aus den seinen.
    »Hau bloß ab!« rief sie fast schreiend. »Ich kenne euch! Deine Socken stopfen? Auf dem Spirituskocher was brutzeln? Nächtelang nicht schlafen wegen dir, wenn du mit deinen Kurzhaarigen quasselst? Und wenn du dann Doktor wirst oder Advokat oder Beamter, dann krieg ich 'nen Fußtritt:
    Scher dich auf die Straße, du Stück Pöbel, hast genug an meinem jungen Leben gezehrt. Ich will eine Anständige heiraten, eine Reine, Unschuldige …«
    »Ich meine es brüderlich … ohne das …«, stammelte Lichonin verlegen.
    »Diese Brüder kenn ich! Bis zur ersten Nacht … Hör auf, mir Unsinn zu erzählen! Das ödet mich an.«
    »Warte, Lichonin«, begann der Journalist ernst. »Du lädst dir damit auch selbst eine zu schwere Bürde auf. Ich habe Idealisten unter den Volkstümlern gekannt, die aus Prinzip einfache Bauernmädchen heirateten. Sie dachten so: Natur, Schwarzerde, unverbrauchte Kräfte … Und nach einem Jahr war aus dieser Schwarzerde ein dickes Weib geworden, das den ganzen Tag im Bett lag und Lebkuchen kaute oder seine Finger mit billigen Ringen schmückte und sich daran nicht satt sehen konnte. Oder sie saß in der Küche, trank mit dem Kutscher Likör und fing mit ihm ein volkstümliches Liebesverhältnis an. Paß auf, hier wird es noch schlimmer!«
    Alle drei schwiegen. Lichonin war blaß und trocknete sich mit einem Tuch die feuchte Stirn.
    »Nein, zum Teufel!« schrie er plötzlich eigensinnig. »Ich glaube euch nicht! Ich will es nicht glauben! – Ljuba!« rief er das schlafende Mädchen laut an. »Ljubotschka!«
    Das Mädchen erwachte, fuhr sich mit der Hand nach beiden Seiten über die Lippen, gähnte und lächelte schelmisch wie ein Kind.
    »Ich hab nicht geschlafen, ich hab alles gehört«, sagte sie. »Hab nur ein bißchen gedöst.«
    »Ljuba, willst du mit mir von hier fortgehen?« fragte Lichonin und ergriff ihre Hand. »Aber ganz und gar, für immer fortgehen, um niemals wieder in ein Bordell oder auf die Straße zurückzukehren?«
    Ljuba sah Shenja fragend und ungläubig an, als suche sie bei ihr eine Erklärung für diesen Scherz.
    »Ach, gehen Sie«, sagte sie verschmitzt. »Sie studieren ja selbst noch. Wie können Sie denn ein Mädchen aushalten!«
    »Ich will dich nicht aushalten, Ljuba. Ich will dir einfach helfen. Es ist doch für dich nicht gerade schön hier im Freudenhaus!«
    »Klar, das ist kein Zuckerlecken! Wenn ich so stolz wäre wie Shenetschka oder so interessant wie Pascha … Aber ich gewöhne mich hier nie ein.«
    »Also komm mit, komm mit mir!« redete Lichonin ihr zu. »Du kannst doch bestimmt irgendeine Arbeit verrichten, na, zum Beispiel nähen oder sticken oder Wäsche zeichnen?«
    »Gar nichts kann ich«, entgegnete Ljuba verlegen, sie mußte lachen, wurde rot und bedeckte mit dem freien Arm den Mund. »Was bei uns auf dem Lande nötig ist, davon verstehe ich was, aber weiter kann ich nichts. Nur ein bißchen kochen … habe bei einem Popen gelebt und dort gekocht.«
    »Fabelhaft! Hervorragend!« freute sich Lichonin. »Dann helfe ich dir, und du eröffnest eine Imbißstube. Verstehst du, eine billige Speisewirtschaft. Ich mache Reklame für dich. Die Studenten werden bei dir essen. Großartig!«
    »Machen Sie keine Witze!« widersprach Ljuba leicht gekränkt und sah Shenja abermals fragend aus den Augenwinkeln an.
    »Er scherzt nicht«, sagte Shenja mit seltsam zitternder Stimme. »Er meint es wirklich ernst.«
    »Ich gebe dir mein Ehrenwort, daß ich es ernst meine! Wirklich wahr!« bestätigte der Student mit Feuereifer und bekreuzigte sich sogar zur leeren Zimmerecke hin.
    »Ja, in der Tat«, sagte Shenja, »nehmen Sie Ljubka mit. Das ist etwas anderes als bei mir. Ich bin wie eine alte Dragonerstute, die ihre Mucken hat. Mich kann man nicht mehr ummodeln, weder mit Zuckerbrot noch mit der Peitsche. Aber Ljubka ist ein einfaches und gutes Mädchen. Und sie hat sich noch nicht an das Leben hier bei uns gewöhnt. Was glotzt du mich an, Dummerchen? Antworte, wenn du gefragt wirst. Na? Willst du oder nicht?«
    »Nun ja, wenn das kein Witz sein soll, sondern ehrlich gemeint ist … Was rätst du mir, Shenetschka?«
    »Ach, du Umstandskrämer!« Shenja wurde ärgerlich. »Was findest du besser: Mit eingeschlagener Nase im Stroh verfaulen? Wie ein Hund hinterm Zaun verrecken? Oder ein ehrliches Leben anfangen? Du Dumme! Die Hände solltest du ihm küssen, und du stellst

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