Das sündige Viertel
undSukkoth [11] wurden von ihm stets andächtig begangen, überall, wohin das Schicksal ihn auch verschlug. In Odessa hatte er seine alte Mutter und eine bucklige Schwester zurückgelassen, und ihnen schickte er beharrlich manchmal große, manchmal kleine Geldsummen, nicht regelmäßig, aber ziemlich oft, aus fast allen Städten, von Kursk bis Odessa und von Warschau bis Samara. Er hatte schon ganz erhebliche Ersparnisse beim Lyoner Kreditinstitut, und er vergrößerte sie allmählich und rührte die Zinsen nicht an. Habgier oder Geiz jedoch waren ihm fast völlig fremd. Eher reizten ihn an seinem Geschäft die Spannung, das Risiko und professionelle Eigenliebe. Frauen gegenüber war er völlig gleichgültig, obwohl er etwas von ihnen verstand und sie zu schätzen wußte; er ähnelte in dieser Hinsicht einem guten Koch, der ein Meister seines Handwerks ist und gleichzeitig unter chronischer Appetitlosigkeit leidet. Frauen zu verführen und sie so weit zu bringen, daß sie alles taten, was er wollte, kostete ihn keinerlei Mühe: sie folgten seiner Aufforderung von selbst und wurden in seiner Hand widerspruchslos, gehorsam und gefügig. Er hatte im Umgang mit ihnen eine straffe, unbeugsame Selbstsicherheit entwickelt, der sie sich ebenso unterordneten, wie ein störrisches Pferd sich instinktiv der Stimme, dem Blick und dem Streicheln eines erfahrenen Reiters fügt.
Er trank sehr mäßig, und wenn er nicht in Gesellschaft war, trank er gar nicht. Dem Essen gegenüber war er vollkommen gleichgültig. Doch natürlich hatte auch er, wie jeder Mensch, seine kleine Schwäche: Er liebte es über die Maßen, sich gut zu kleiden, und gab erhebliche Summen für seine Toilette aus. Modische Kragen unterschiedlichster Fasson, Krawatten, Manschettenknöpfe mit Brillanten, Berlocken, schicke Unterwäsche und elegantes Schuhwerk – das war es, was ihm die meiste Freude bereitete.
Vom Bahnhof aus fuhr er direkt ins »Eremitage«. Die Gepäckträger des Hotels, in blauen Blusen und Uniformmützen, trugen seine Sachen ins Vestibül. Hinter ihnen trat er ein, Arm in Arm mit seiner Gattin, beide adrett und ansehnlich, er geradezu pompös in seinem weiten, glockenförmigen englischen Mantel, mit einem neuen breitkrempigen Panamahut, geckenhaft ein Stöckchen mit Silberknauf in Form einer nackten Frau schwingend.
»Ohne Aufenthaltsgenehmigung ist der Eintritt nicht erlaubt«, sagte der riesige, dicke Portier und musterte ihn von oben bis unten mit schläfrigem, gleichgültig-kaltem Gesichtsausdruck.
»Ach, Sachar! Wieder mal ›nicht erlaubt‹!« rief Horizont erheitert und klopfte dem Riesen auf die Schulter. »Was heißt schon ›nicht erlaubt‹? Jedesmal fallen Sie mir auf die Nerven mit Ihrem ›nicht erlaubt‹. Ich bleibe nur drei Tage. Ich schließe nur den Pachtvertrag mit Graf Ipatjew ab und fahre sofort weiter. Dann können Sie meinetwegen alle Zimmer allein bewohnen, in Gottes Namen! Aber sehen Sie nur mal, Sachar, was für ein Spielzeug ich Ihnen aus Odessa mitgebracht habe! Sie werden sich freuen!«
Mit behutsamer, geschickter und gewohnter Geste schob er ein Goldstück in die Hand des Portiers, die dieser bereits geöffnet hinter dem Rücken bereithielt.
Das erste, was Horizont tat, nachdem er das weiträumige Zimmer mit dem Alkoven bezogen hatte, war, sechs Paar wunderschöne Halbschuhe auf den Korridor vor die Tür zu stellen, und zu dem Etagendiener, der auf sein Klingeln herbeieilte, sagte er: »Sofort alle putzen! Spiegelblank! Du heißt Timofej, stimmt's? Dann mußt du mich kennen: wer mir einen Dienst erweist, bereut es nie. Also, alle spiegelblank!«
4
Horizont wohnte im »Eremitage« nicht länger als drei Tage, und während dieser Zeit traf er sich mit dreihundert Leuten. Die große, muntere Hafenstadt lebte gleichsam auf durch seine Ankunft. Zu ihm kamen Frauen, die Kontore zur Vermittlung von Dienstpersonal unterhielten, Pensionswirtinnen und alte erfahrene Kupplerinnen, die über dem Frauenhandel ergraut waren. Weniger aus Gewinnsucht als vielmehr aus professionellem Stolz war Horizont bemüht, unbedingt soviel Prozente wie möglich zu erhandeln, eine Frau so billig wie möglich zu kaufen. Natürlich ging es ihm nicht darum, zehn oder fünfzehn Rubel mehr zu bekommen, doch allein der Gedanke, sein Konkurrent Jampolski könnte beim Verkauf mehr erhalten, brachte ihn in Rage.
Am Tag nach der Ankunft ging er zum Fotografen Meser, nahm das strohblonde Mädchen Bella mit und ließ sich mit ihr in
Weitere Kostenlose Bücher