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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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zur Hand war. Der Pharmazeut machte sie ausfindig und kam jeden Abend zu ihr. Doch seine Feigheit oder seine spezielle jüdische Gewissenhaftigkeit oder vielleicht sogar physischer Widerwille erlaubte ihm nicht, das Mädchen herauszuholen und zu sich zu nehmen. Ganze Nächte lang saß er neben ihr und wartete wie früher geduldig, bis sie von einem Zufallsbesucher zurückkam, er machte ihr Eifersuchtsszenen und liebte sie trotzdem, und während er tagsüber in seiner Apotheke hinterm Ladentisch stand und stinkende Pillen drehte, dachte er beständig an sie und war traurig.

6
    Gleich am Eingang des Gartenrestaurants außerhalb der Stadt strahlte vielfarbig eine künstliche Rabatte mit elektrischen Glühbirnen anstelle der Blumen, und von hier aus führte in die Tiefe des Gartens eine ebenfalls beleuchtete Allee aus weiten halbrunden Bögen, die sich nach hinten verengten. Dann folgte eine große, mit gelbem Sand bestreute Fläche: links Freilichtbühne, Theater und Schießstand, geradeaus eine Konzertmuschel für die Militärkapelle und Buden mit Blumen und Bier, rechts die lange Restaurantterrasse, Der Platz war grell und leblos bleich beleuchtet von elektrischen Kugellampen an hohen Masten. Um die Mattglaskugeln, die von Drahtnetzen umspannt wurden, schwirrten ganze Wolken von Nachtfaltern, deren Schatten, verschwommen und groß, unten auf der Erde waberten. Hungrige Frauen gingen paarweise hin und her, ihr Schritt war schon müde und schleppend, sie waren allzu leicht, schmuck und ausgefallen gekleidet, und ihre Gesichter zeigten einen Ausdruck sorgloser Heiterkeit oder schnippischer, beleidigter Unzugänglichkeit.
    Im Restaurant waren alle Tische besetzt, über ihnen schwebte gleichmäßiges Besteckgeklapper und kunterbuntes, an- und abschwellendes Stimmengewirr. Es roch penetrant und scharf nach Küchendunst. In der Mitte des Speiseraums, auf einer Estrade, spielten Rumänen in roten Fräcken, alle braunhäutig, mit weißen Zähnen und mit Gesichtern wie schnurrbärtige, pomadisierte, geleckte Affen. Der Orchesterdirigent spielte Geige, vorgebeugt und sich geziert wiegend, und er machte dem Publikum schöne Augen, unanständig wie ein sich prostituierender Mann. Und alles zusammen – diese aufdringliche Lichterfülle, die übertrieben grellen Damentoiletten, der Duft scharfer modischer Parfüms, diese dröhnende Musik mit den willkürlichen Tempoverzögerungen, die an den Übergängen wollüstig verebbte, um sich dann erneut stürmisch hochzuschrauben – dies alles verschmolz zu einem allgemeinen Eindruck sinnloser, dummer Üppigkeit, zur Atmosphäre geheuchelten Frohsinns bei einem ausschweifenden Gelage.
    Oben um den ganzen Saal lief eine offene Galerie, auf die gingen kleine Einzelräume hinaus, wie Logen. In einem dieser Räume saßen vier Personen, zwei Damen und zwei Herren: die in ganz Rußland bekannte Sängerin Rowinskaja, eine große, schöne Frau mit länglichen, ägyptisch wirkenden grünen Augen und einem länglichen, sinnlichen roten Mund, dessen Winkel raubtierhaft nach unten gekrümmt waren; die Baronesse Tefting, klein, blaß, elegant – man sah sie überall mit der Künstlerin zusammen; der namhafte Advokat Rjasanow und schließlich Wolodja Tschaplinski, ein reicher junger Lebemann, der sich im Komponieren versuchte und Autor einiger kleiner Romanzen sowie vieler aktueller Stadtanekdoten war.
    Die Wände des Raumes waren rot und golden gemustert. Auf dem Tisch, zwischen brennenden Kandelabern, ragten aus einem neusilbernen, vor Kälte beschlagenen Sektkühler zwei weiße Flaschenhälse, und das Licht glitzerte wie flüssiges Gold in den flachen Weingläsern. Draußen vor der Tür lehnte wartend ein Lakai an der Wand, und der dicke, hochgewachsene, gewichtige Oberkellner, an dessen rechter Hand am stets abgespreizten kleinen Finger ein riesiger Brillant glänzte, blieb häufig an dieser Tür stehen und lauschte mit einem Ohr aufmerksam, was sich im Zimmer tat.
    Mit gelangweiltem blassem Gesicht schaute die Baronesse träge durch ihr Lorgnon hinunter auf die summende, kauende, wimmelnde Menge. Zwischen den roten, weißen, blauen und gelben Damenkleidern sahen die gleichförmigen Männergestalten wie große, plumpe schwarze Käfer aus. Die Rowinskaja blickte verächtlich, doch gleichzeitig auch aufmerksam hinab zur Estrade und zu den Zuschauern, und ihr Gesicht zeigte Erschöpfung, Langeweile, vielleicht auch jenen Überdruß, der Berühmtheiten eigen ist. Die langen, schlanken schönen Finger

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