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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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nun redest du selber solchen Quatsch.«
    »Trotzdem!« beharrte Solowjow. »Vielleicht klingt es geschraubt, aber trotzdem! Als Ältester unserer Mansardenkommune erkläre ich Ljuba zum gleichberechtigten Ehrenmitglied!«
    Er erhob sich, streckte den Arm weit aus und deklamierte pathetisch:
    »Unser Haus
Steht dir stets offen. Geh in Ehren
Als Herrin darin ein und aus!«
    Lichonin erinnerte sich scharf, daß er heute im Morgengrauen den gleichen Satz deklamiert hatte, und er verzog vor Scham das Gesicht.
    »Genug gealbert. Gehen wir, Leute. Zieh dich an, Ljuba.«

14
    Bis zum Restaurant »Sperling« war es nicht weit, etwa zweihundert Schritte. Unterwegs ergriff Ljubka Lichonin verstohlen am Ärmel und zog ihn näher zu sich. So blieben sie ein paar Schritte hinter Solowjow und Nisheradse zurück.
    »Meinen Sie das ernst, Wassil Wassilitsch, mein Lieber?« fragte sie und sah ihn mit ihren sanften dunklen Augen von unten herauf an. »Machen Sie sich auch nicht über mich lustig?«
    »Wo denkst du hin, Ljubotschka! Ich wäre doch der niedrigste Bösewicht, wenn ich mir so etwas erlauben würde. Ich wiederhole: Ich bin für dich mehr als ein Freund, ich bin dein Bruder, dein Gefährte. Und nun sprechen wir nicht mehr davon. Und das, was heute morgen passiert ist, das wird nicht wieder vorkommen, da kannst du beruhigt sein. Ich miete gleich heute für dich ein eigenes Zimmer.«
    Ljubka seufzte. Nicht daß Lichonins keuscher Entschluß, an den sie, offen gestanden, nicht recht glaubte, sie gekränkt hätte; doch ihr enger, dunkler Verstand konnte sich nicht einmal theoretisch vorstellen, daß eine Beziehung zwischen Mann und Frau anders als sinnlich sein könnte. Außerdem machte sich ein Gefühl bemerkbar, das sie seit langem und besonders in Anna Markownas Haus kennengelernt hatte, dort in Form prahlerischen Wetteiferns, jetzt als dumpfe, aber ehrliche und ärgerliche Unzufriedenheit – das Empfinden des umworbenen oder des verschmähten Weibchens. Und Lichonin zu glauben fiel ihr ziemlich schwer, unbewußt hatte sie in seinen Worten viel Gekünsteltes, nicht ganz Aufrichtiges erspürt. Solowjow, ja – wenn der auch unverständlich redete, genau wie die meisten anderen ihr bekannten Studenten beim Scherzen unter sich oder mit den Mädels im großen Saal (einzeln, im Zimmer, waren alle ausnahmslos Männer, alle redeten und taten das gleiche), trotzdem hätte sie Solowjow eher und lieber Glauben geschenkt. Eine gewisse Schlichtheit strahlte aus seinen weit auseinanderstehenden lustigen und funkelnden grauen Augen.
    Im »Sperling« schätzte man Lichonin wegen seiner Solidität, seiner guten Manieren und seiner finanziellen Akkuratesse. Deshalb bekam er sofort einen kleinen separaten Raum – eine Ehre, deren sich wenige Studenten rühmen konnten. In diesem Raum brannte den ganzen Tag Gasbeleuchtung, denn das Tageslicht drang nur spärlich ein durch einen schmalen Fensterspalt unter der Decke, durch den man lediglich Stiefel, Schuhe, Schirme und Stöcke der Leute sah, die auf dem Bürgersteig vorübergingen.
    Sie mußten sich der Gesellschaft eines anderen Studenten, eines gewissen Simanowski, anschließen, mit dem sie an der Garderobe zusammentrafen. Was denn, dachte Ljubka, das ist ja, als ob er mich vorführt, als ob er vor ihnen angeben will. Und sie paßte einen Moment ab, als Lichonin sich zu ihr hinabbeugte, und flüsterte ihm zu: »Warum denn so viele Leute, mein Lieber? Ich habe doch solche Hemmungen. Ich kann mich in Gesellschaft überhaupt nicht bewegen.«
    »Ach was, ach was, Ljubotschka«, flüsterte Lichonin flink zurück, an der Tür des Raumes stehenbleibend, »ach was, Schwesterchen, das sind alles nette Leute, gute Freunde. Sie werden dir helfen, sie werden uns beiden helfen. Du mußt dir nichts draus machen, daß sie manchmal herumalbern und Dummheiten faseln. Dafür haben sie ein Herz aus Gold.«
    »Aber ich schäme mich so. Alle wissen schon, woher du mich geholt hast.«
    »Das macht nichts, wirklich nicht! Und wenn sie's auch wissen«, widersprach Lichonin eifrig. »Wozu sich seiner Vergangenheit schämen, sie verschweigen? Übers Jahr wirst du jedem Menschen offen in die Augen blicken und sagen: ›Wer nie gefallen ist, hat sich auch nie erhoben.‹ Also komm, Ljubotschka, komm!«
    Während ein leichter Imbiß aufgetischt und das Essen bestellt wurde, fühlten sich alle außer Simanowski gehemmt. Die Ursache war zum Teil Simanowski selbst, ein glattrasierter Mann mit Zwicker, langhaarig, mit stolz

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