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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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Achtung für diesen Quatsch empfinde«, sagte er. »Ich verfüge einfach über gewisse mechanische Geistesfähigkeiten, über eine Art psychischer Abnormität. So wie es, sagen wir, Linkshänder gibt. Und deshalb habe ich keinen professionellen Ehrgeiz, ein Sieg macht mich nicht stolz, eine Niederlage nicht gallig.«
    So war er, der Erzstudent Solowjow. Und Nisheradse war sein engster Freund, was die beiden allerdings nicht hinderte, sich von früh bis spät zähnefletschend zu streiten und zu beschimpfen. Weiß der Himmel, wie und wovon der georgische Fürst eigentlich lebte. Er selbst behauptete, er besäße die Fähigkeit eines Kamels, sich für einige Wochen im voraus zu ernähren und dann einen ganzen Monat lang nichts zu essen. Von daheim, aus seinem gepriesenen Georgien, bekam er sehr wenig, und auch das vorwiegend in Form von Nahrungsmitteln. Zu Weihnachten, zu Ostern oder zum Namenstag (im August) schickten sie ihm – und zwar immer durch zureisende Landsleute – ganze Körbe voller Hammelfleisch, Weintrauben,Tschurtschela [16] , Würste, Dörrobst, Rachat-Lokum, Auberginen und sehr schmackhafter Fladen, desgleichen Schläuche mit hervorragendem selbstgekeltertem Wein, der stark und aromatisch war, aber ein klein wenig nach Schaffell roch. Dann lud der Fürst alle guten Freunde und Landsleute zu einem seiner Kommilitonen ein (eine eigene Wohnung hatte er nie) und veranstaltete ein üppiges Fest – kaukasisch »Toi« genannt –, bei dem die Gaben des fruchtbaren Georgien restlos draufgingen, bei dem georgische Lieder gesungen wurden, in erster Linie natürlich »Mrawalshamier« [17] und »Für uns ist jeder Gast von Gott gesandt, aus welchem Lande er auch kommt«, bei dem pausenlos Lesginka getanzt wurde und der Zeremonienmeister, der Tulumbasch (oder heißt er etwa Tamada?), seine improvisierten Reden hielt; meistens jedoch sprach Nisheradse selbst.
    Er war ein gewaltiger Meister im Reden und konnte, wenn er in Fahrt geriet, an die dreihundert Wörter pro Minute aussprechen. Sein Redestil war gekennzeichnet durch Feuer, Blumigkeit und Bildhaftigkeit, und seine Sprache wurde nicht beeinträchtigt, sondern sogar auf eigentümliche Weise bereichert durch ihren kaukasischen Akzent mit den charakteristischen Zischlauten und den Kehllauten, die manchmal an Waldschnepfengekrächz, manchmal an Adlerschreie erinnerten. Worüber er auch sprach, immer lief sein Monolog auf eine Huldigung an das schönste, fruchtbarste, fortschrittlichste, ritterlichste und zugleich am meisten unterdrückte Land hinaus – an Georgien. Und jedesmal zitierte er Verse aus dem »Recken im Tigerfell« des georgischen Dichters Rusthaweli, von dem er behauptete, er sei tausendmal mehr wert als der ganze Shakespeare, mit Homer multipliziert.
    Wenn er auch leicht aufbrauste, so war er doch nachgiebig und von feminin-weichen Umgangsformen, freundlich, behutsam, ohne je seinen angeborenen Stolz preiszugeben. Eines nur mißfiel seinen Freunden: eine gewisse übersteigerte, exotisch wirkende Vorliebe für Frauen. Seine unumstößliche Überzeugung, er sei über die Maßen schön, alle Männer würden ihn beneiden, alle Frauen seien in ihn verliebt und alle Ehemänner auf ihn eifersüchtig – diese Überzeugung grenzte schon ans Heilige oder ans Törichte. Nicht einen Augenblick, vermutlich nicht einmal im Schlaf, ließ er von dieser prahlerischen, aufdringlichen Schürzenjägerei ab. Auf der Straße stieß er alle Augenblicke Lichonin, Solowjow oder einen anderen Begleiter im Gehen mit dem Ellenbogen an, wies schnalzend mit dem Kopf auf eine soeben vorübergegangene Frau und sprach: »Ts, ts, ts … oha, oha! Tolles Weib! Wie sie mich angeguckt hat! Wenn ich nur will – die krieg ich!«
    Man kannte diesen drolligen Fehler an ihm, machte sich gutmütig und ungeniert darüber lustig, doch man verzieh es ihm gern, weil er ansonsten eine ganz natürliche, ungezwungene Hilfsbereitschaft gegenüber seinen Freunden zeigte und stets zu seinem Wort stand, wenn er es einem Mann gegeben hatte (Schwüre gegenüber Frauen zählten nicht). Übrigens muß gesagt werden, daß er in der Tat großen Erfolg bei Frauen hatte. Nähmädchen, Modistinnen, Choristinnen, Serviererinnen und Telefonfräulein schmolzen dahin, sobald er den schweren, süßen Blick seiner blauschwarzen Augen eindringlich auf sie richtete …
    »Friede diesem Hause und allen Gerechten, die darin wohnen«, begann Solowjow beim Eintritt zu predigen, und plötzlich brach er ab. »Ach, ihr

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