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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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Ehrenwort geben, daß zwischen uns nur freundschaftliche Beziehungen herrschen werden.«
    »Ich geb es ja, mein Lieber, ich geb's, ich geb's!« stammelte sie lächelnd und küßte ihn flink, zuerst auf die Lippen, dann auf die Hand.
    Das letztere geschah ganz instinktiv und wohl auch für Ljubka selbst unerwartet. Sie hatte noch nie im Leben eines Mannes Hand geküßt, höchstens die des Popen. Vielleicht wollte sie damit ihre Dankbarkeit für Lichonin ausdrücken und ihre Verehrung für ihn, wie für ein höheres Wesen.

15
    Unter der russischen Intelligenz, das haben schon viele bemerkt, gibt es eine stattliche Anzahl wunderlicher Leute, echte Kinder des russischen Landes und der russischen. Kultur, die können heroisch, ohne mit der Wimper zu zucken, dem Tod ins Angesicht schauen, um einer Idee willen sind sie imstande, unvorstellbare Entbehrungen und Leiden, Foltern gleich, geduldig zu ertragen, aber andererseits verlieren diese selben Menschen die Fassung vor einem hochnäsigen Portier, sie erschauern, wenn eine Waschfrau sie anschreit, und ein Polizeirevier betreten sie ganz zaghaft und scheu. Genau so war Lichonin. Am nächsten Tag (gestern ging es nicht, wegen des Feiertags, und es war auch zu spät geworden) erwachte er sehr früh, und als ihm einfiel, daß er für Ljubka den Ausweis besorgen mußte, fühlte er sich ebenso miserabel wie früher als Gymnasiast, wenn er zur Prüfung mußte und damit rechnete, durchzufallen. Er hatte Kopfschmerzen, Arme und Beine kamen ihm fremd und überflüssig vor, und außerdem ging draußen schon am frühen Morgen ein dünner und gleichsam schmutziger Nieselregen nieder. So ist das stets, wenn etwas Unangenehmes bevorsteht, dachte Lichonin, während er sich langsam anzog, dann regnet's immer.
    Von ihm zur Kutschergasse war es nicht besonders weit, nur einen reichlichen Kilometer. Überhaupt kam er nicht selten in diese Gegend, doch noch niemals mußte er bei Tag hingehen, und nun hatte er unterwegs immerzu das Gefühl, jeder Passant, jeder Droschkenkutscher und jeder Polizist sähe ihn neugierig, vorwurfsvoll oder verächtlich an, als errate er das Ziel seines Weges. Wie es immer an einem trüben Schlechtwettermorgen ist, so wirkten auch diesmal alle Gesichter, die ihm vor Augen kamen, blaß, unschön, alle Mängel schienen auf häßliche Weise betont zu sein. Dutzende Male stellte er sich vor, was er sagen würde, erst im Bordell, dann bei der Polizei, und jedesmal ergab es sich anders. Er ärgerte sich über sich selbst wegen dieser vorweggenommenen Repetition und gebot sich zuweilen Einhalt: Ach! Nicht vorher überlegen, was man sagen will. Es klappt viel besser, wenn man es drauf ankommen läßt.
    Und gleich danach begannen in seinem Kopf abermals die eingebildeten Dialoge:
    »Sie haben kein Recht, das Mädchen gegen seinen Willen festzuhalten.«
    »Ja, aber sie soll selbst Bescheid sagen, daß sie weg will.«
    »Ich handele in ihrem Auftrag.«
    »Gut, aber wie können Sie das beweisen?«
    Und abermals unterbrach er seine Gedanken.
    Nun begann schon die Kuhkoppel am Stadtrand, Gehwegbretter am Zaun entlang, wacklige Brücken über kleine Bäche und Gräben. Dann bog er in die Kutschergasse ein. An Anna Markownas Haus waren alle Fensterläden mit den herzförmigen Öffnungen in der Mitte noch geschlossen. Geschlossen waren auch alle anderen Häuser in der menschenleeren Straße, die verödet war wie nach einer Seuche. Bedrückten Herzens zog Lichonin am Klingelgriff.
    Ihm öffnete ein Dienstmädchen, barfüßig, mit geschürztem Rock, einen nassen Lappen in der Hand, Schmutzstreifen auf dem Gesicht – sie hatte soeben den Fußboden gewischt.
    »Ich möchte Shenka sprechen«, bat Lichonin schüchtern.
    »Das Fräulein Shenka sind beschäftigt mit einem Gast. Sie sind noch nicht wach.«
    »Nun, dann Tamara.«
    Das Dienstmädchen sah ihn mißtrauisch an.
    »Fräulein Tamara – ich weiß nicht … Die ist, glaube ich, auch beschäftigt. Was wollen Sie denn, einen Besuch oder was?«
    »Ach, ist das nicht gleichgültig? Nun, meinetwegen, einen Besuch.«
    »Ich weiß nicht. Ich sehe mal nach. Warten Sie.«
    Sie ging und ließ Lichonin im halbdunklen Saal allein. Bläuliche Staubsäulen, die von den Öffnungen der Fensterläden ausgingen, durchdrangen kreuz und quer die lastende Dämmerung. Als unförmige Flecken traten die bemalten Möbel und die kitschigen Öldrucke an den Wänden aus dem eintönigen Grau hervor. Es roch nach dem Tabak vom Vortage, außerdem feucht und

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