Das Syndikat der Spinne
Ich bin aber auchgerade eben erst ins Büro gekommen und habe es erfahren, weil ein Zettel auf meinem Tisch liegt. Sie möchte unbedingt mit Ihnen reden, mit niemandem sonst.«
»Wie ist man darauf gekommen, dass sie ihren Schwager erschossen haben könnte?«
»Ein anonymer Anrufer. Frau Durant, tun Sie mir einen Gefallen, beeilen Sie sich und kommen Sie her. Lassen Sie uns nicht am Telefon darüber sprechen.«
»Ich mach mich nur schnell fertig. Sagen wir in einer Dreiviertelstunde. Bis gleich.«
Sie legte auf, atmete ein paarmal tief durch und griff automatisch nach den Zigaretten. Mit fahrigen Fingern holte sie eine aus der Schachtel und zündete sie an. Obgleich sie so gut geschlafen hatte wie seit mindestens zwei Wochen nicht, was möglicherweise auch am Wetter lag, denn die Temperaturen waren in den vergangenen beiden Tagen stark gefallen, fühlte sie sich schon jetzt müde und ausgelaugt. Waren es am Mittwoch noch fünfunddreißig Grad gewesen, so wehte nun ein kühler Wind durch das offene Schlafzimmerfenster und blähte die Vorhänge auf. Das Wasser im Bad hörte auf zu rauschen. Sie trat ans Fenster und warf einen Blick nach draußen. Der Himmel war bedeckt, erste Tropfen fielen auf die ausgetrocknete Erde, der Wind war im Gegensatz zu den letzten Tagen fast kalt. Sie zog die Vorhänge ganz auf, ging ins Wohnzimmer und öffnete auch dort das Fenster. In der Wohnung war es noch immer wesentlich wärmer als draußen, und sie hoffte, dass es im Laufe des Tages auch drinnen abkühlte. Nervös wie lange nicht, setzte sie sich auf die Couch und dachte an den vergangenen Abend, an das Gespräch mit Hellmer und daran, dass sie Ramona Wiesner heute einen Besuch abstatten wollte, um sich mit ihr in aller Ruhe zu unterhalten. Zum ersten Mal seit langem pulte sie mit dem Zeigefinger die Haut am Daumen ab, bemerkte es gerade noch rechtzeitig, bevor es zu bluten begann, und schüttelte den Kopf. Sie legte die Beine auf den Tisch und wartete, dass Kuhn endlich aus dem Bad kam.
»Hi, guten Morgen«, sagte er. Nur mit einer Boxershorts bekleidet,ging er zu ihr, beugte sich zu ihr hinunter und gab ihr einen Kuss. »Und, ausgeschlafen?«, fragte er.
»Keine Ahnung, das kann ich jetzt noch nicht sagen«, erwiderte sie und blickte ihn durch den Rauch hindurch an. »Ich muss sofort ins Präsidium. Holst du schnell Brötchen und deckst den Tisch?«
»Was ist passiert?«, fragte er besorgt, setzte sich zu ihr und rubbelte mit dem Handtuch seine Haare.
»Nicht jetzt. Ich muss mich beeilen.« Sie stand auf, doch Kuhns Stimme hielt sie zurück.
»Kannst du mir nicht wenigstens sagen, was los ist?«
»Ramona Wiesner wurde verhaftet. Sie will mich unbedingt sprechen.«
»Warum …«
»Stell keine langen Fragen, hol Brötchen, damit ich wenigstens was im Magen habe, bevor ich das Haus verlasse. Ich geh jetzt ins Bad, um mich einigermaßen menschlich zu gestalten.«
Kuhn zog sich an, bürstete das noch feuchte Haar, nahm sein Portmonee vom Tisch und ging Brötchen holen. Julia Durant duschte, wusch sich die Haare und fühlte sich hinterher leidlich fit für den Tag. Allmählich glättete sich die von der Nacht zerfurchte Haut. Sie legte etwas Make-up auf, zog die Lippen nach und sprühte zuletzt ein wenig Shalimar Eau de Toilette auf den Hals.
Dominik Kuhn hatte vier Brötchen und zwei Croissants geholt und war schon wieder zurück, als sie aus dem Bad kam, hatte die Kaffeemaschine angemacht und war dabei, den Tisch zu decken.
Sie frühstückten und hörten dabei leise Musik, bis um acht die Nachrichten auf HR 3 kamen. Erst Meldungen aus aller Welt, dann sagte die Sprecherin, dass am Freitagnachmittag das Vorstandsmitglied der Deutschen Generalbank, Thomas Wiesner, tot in seinem Landhaus aufgefunden worden sei. Wie aus Polizeikreisen verlautete, sei Wiesner Opfer eines Gewaltverbrechens geworden.
Durant schaute Kuhn an und sagte mit süffisantem Unterton: »Und, hat
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darüber berichtet?«
»Keine Ahnung, aber ich nehm’s an. Wenn HR 3 das weiß, dannwissen wir das erst recht. Wahrscheinlich weiß HR 3 das sogar von uns, und die haben sich dann noch mal extra an die Polizei gewandt.«
»Mir soll’s egal sein. Ich ruf jetzt schnell bei Frank an und muss dann los ins Präsidium. Ich weiß nicht, was du heute vorhast, aber bei mir könnte es spät werden.«
»Ich fahre vielleicht ins Krankenhaus und setz mich zu Peter. Und ich muss auch mal dringend in meiner Wohnung nach dem Rechten sehen und ein paar Klamotten
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