Das Syndikat der Spinne
dem Tod von Andreas die verhärteten Fronten etwas aufgebrochen sind. Mit einem Mal hieß es, Ramona, wenn du was brauchst, wir sind immer für dich da. Ich wusste selbst nicht, was ich davon halten sollte. Ich war am Mittwoch und Donnerstag bei ihnen, habe dort übernachtet, aber im Grunde habe ich mich in ihrem Haus nie wohl gefühlt. Es ist eine kalte, unpersönliche Atmosphäre. Deshalb kann ich Ihnen nur sehr wenig über ihn sagen. Aber ich wollte trotzdem herausfinden, ob ihre Anteilnahme echt oder nur gespielt war.« Sie hielt inne und sah Durant aus ihren grünen Augen an, als erwartete sie die nächste Frage.
Die Kommissarin überlegte einen Moment und sagte: »Auch wenn Sie sich nur selten gesehen haben, wie würden Sie Ihren Schwager einschätzen? Ich meine, was seine Persönlichkeit betrifft?«
Ramona Wiesner zuckte mit den Schultern, richtete den Blick zu Boden und antwortete: »Nach außen hart, nach innen eher weich, zumindest habe ich das immer geglaubt. Seit gestern zweifle ich daran. Zu Hause hat jedenfalls Sophia das Sagen, das war immer so und wäre vermutlich auch immer so geblieben. Ihr Wort gilt, auch wenn sie sich in der Öffentlichkeit natürlich anders gegeben hat, die nette Frau an seiner Seite war. Deshalb hat er auch seit Jahren schon übermäßig viel getrunken, hat den Druck nicht ausgehalten. Sie müssen sich vorstellen, meine Schwägerin entstammt einer der besten Familien Italiens. Hinzu kommt ihr südländisches Temperament, mit dem Thomas nie mithalten konnte, und vielleicht noch einige andere Faktoren. Ich weiß bis heute nicht, wie die beiden zueinander gefunden haben. Sie sind eigentlich wie Feuer und Wasser.«
»Aber sie haben drei Kinder.«
»Was will das schon heißen? Wichtig ist der Schein, der nach außen gewahrt wird, was sich hinter den eigenen vier Wänden abspielt, geht keinen etwas an. Der Schein ist doch heutzutage alles, was zählt. Wie viele Männer belügen und betrügen ihre Frauen und umgekehrt, wie viel Elend herrscht in vielen Familien, wovon kein Außenstehender jemals etwas mitbekommt, und wenn doch, dann wird alles heruntergespielt. Glauben Sie mir, bei meinem Mann und mir war das anders. Wir brauchten keine Fassade aufzubauen, weil wir uns zu Hause nicht anders verhalten haben als außerhalb. Vielleicht war das auch ein Grund, weshalb Thomas meinen Mann und mich nicht mochte. Er konnte es vielleicht nicht ertragen, eine so intakte Familie zu sehen.«
»Das ist aber nicht der Hauptgrund, weshalb das Verhältnis zwischen Ihrem Mann und Ihrem Schwager so unterkühlt war? Es muss doch eine andere Ursache dafür geben.«
»Da kann ich nur mutmaßen, aber ich denke, Thomas war seit jeher neidisch auf die künstlerischen Fähigkeiten von Andreas. Er hat es wohl nie verwunden, dass mein Schwiegervater nicht ihm, sondern Andreas das Geschäft übergeben hat. Das ist jetzt immerhinschon zehn Jahre her, und es ist zu einer fürchterlichen Auseinandersetzung zwischen meinem Schwiegervater und Thomas gekommen, bei der Thomas gemeint hat, er habe doch nicht umsonst sechs Jahre lang studiert, um dann irgendwo in einer Bank zu verrotten. Aber meinem Schwiegervater kam es nicht darauf an, welche Schule einer seiner Söhne besucht hat, sondern darauf, wie gut er das Handwerk beherrschte. Und Andreas war ein Meister seines Fachs. Sie können fragen, wen immer Sie wollen, Sie werden stets die gleiche Antwort bekommen, Sophia vielleicht ausgenommen. Thomas mag im kaufmännischen Bereich ein Ass gewesen sein, handwerklich war er eine Niete. Andreas hat den Spagat geschafft, er konnte beides. Und darauf war Thomas natürlich neidisch. Schließlich haben sich Thomas und sein Vater überworfen und bis zum Tod meines Schwiegervaters kein Wort mehr miteinander gewechselt.«
»Und dennoch hat Ihr Schwager Karriere gemacht, ich meine, im Vorstand einer Großbank zu sitzen ist bemerkenswert, wenn ich es so ausdrücken darf«, sagte Durant.
»Sicher, aber das hat Thomas nicht daran gehindert, sich von uns zu distanzieren. Wir haben immer wieder versucht die Wogen zu glätten, doch weder Thomas noch Sophia wollten das. Unsere spärlichen Treffen waren immer frostig …«
»Aber seit dem Tod Ihres Mannes haben sie Ihnen mit einem Mal ihre Hilfe angeboten. Haben Sie jetzt eine Ahnung, warum?«
Ramona Wiesner zuckte mit den Schultern und sah die Kommissarin mit unergründlichem Blick an. »Vielleicht hatten sie ein schlechtes Gewissen, oder es war etwas anderes.«
»Weshalb
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