Das Syndikat der Spinne
sollten«, antwortete sie grinsend. »Außerdem war mir langweilig, und als ich das mit Wiesner hörte, hab ich irgendwie ein komisches Gefühl in der Magengegend gekriegt. Sie wissen sicher, wovon ich spreche.«
Christine Güttler kam mit den Fotos zurück und legte sie auf den Tisch.
»Danke.« Durant breitete die Aufnahmen aus. »Also, das sind dieFotos vom Tatort«, sagte sie langsam. »Und jetzt kommt meine Geschichte. Wenn ich diese Fotos sehen würde, würde ich sofort genau das denken, was die meisten denken – ein ganz klarer Fall von Mord und Selbstmord. Zwei Liebende, die nicht zueinander kommen können. Romeo und Julia, die zwei Königskinder, na ja … Es spricht auf den ersten Blick einfach alles für diese Version.« Sie machte eine Pause, zog an der Zigarette und fuhr fort: »Aber so war es nicht. Und ich werde auch sagen, wie ich zu diesem Schluss komme. Wiesner hatte 1,9 Promille, von seiner Frau aber weiß ich, dass er überzeugter Abstinenzler war. Er hat nicht mal zu Silvester mit Champagner auf das neue Jahr angestoßen, ihn hat allein der Geruch von Alkohol angeekelt. Wiesners Leber ist ohne Befund, weshalb Bock einen längeren Alkoholmissbrauch weitgehend ausschließt. Seine Ehe war vorbildlich, wie seine Frau sagt, und wenn Sie sie kennen lernen und ihr zuhören, werden Sie daran nicht zweifeln. Sie hatten ein ausgefülltes Sexualleben, obwohl sie schon seit elf Jahren verheiratet waren, und sie hatte zu keiner Zeit das Gefühl, dass er eine Affäre haben könnte. Sie hat mir sehr viele Details genannt, weswegen ich ihr einfach glauben muss. Bock hat außerdem weder bei Wiesner noch bei der Puschkin irgendwelche Spuren ausmachen können, die darauf hindeuten, dass die beiden vor ihrem Tod sexuell miteinander verkehrt haben. Aber sie waren beide nackt, zumindest fast, wie auf den Fotos unschwer zu erkennen ist. Und das ist schon recht merkwürdig. Und jetzt kommt’s ganz dick, nämlich die Einschusslöcher. Wenn wir uns dieses Foto hier betrachten, dann sehen wir, dass die Puschkin und Wiesner mindestens zwei Meter auseinander sitzen. Wenn Wiesner 1,9 Promille im Blut hatte, obgleich er an Alkohol überhaupt nicht gewöhnt war, wäre er dann fähig gewesen, so gezielt abzudrücken? Er soll also, besoffen, wie er war, die Puschkin im wahrsten Sinn des Wortes perfekt hingerichtet haben? Ein Schuss mitten ins Herz und einer direkt über der Nasenwurzel. Perfekter geht es gar nicht …«
»Aber …«, meldete sich Christine Güttler zu Wort, wurde jedoch von Durant gleich wieder unterbrochen.
»Ihr könnt nachher eure Kommentare abgeben, jetzt bin erst malich dran. Lasst mich noch einen Augenblick bei Wiesner bleiben. Einer, der an Alkohol nicht gewöhnt ist, ist bei der Promillezahl schon fast im Delirium. Aber er hat es trotzdem geschafft, die Puschkin fast professionell zu killen. Bei sich selbst hatte er schon ein wenig mehr Schwierigkeiten. Die Kugel ist rechts von der Nase in den Kopf gedrungen und hinten links wieder ausgetreten.« Sie trank ihren inzwischen lauwarmen Kaffee aus und fuhr fort: »Jetzt habe ich mich gestern Abend lange mit Frau Wiesner unterhalten, und sie hat mir auch ein paar Fotos von Ihrem Mann gezeigt. Und da ist mir bei einem etwas aufgefallen. Wartet, ich hab’s dabei.« Sie holte es aus ihrer Tasche, legte es auf den Tisch zu den anderen, blickte um sich und fragte: »Und, fällt euch auch etwas auf?«
Die Beamten beugten sich nach vorn und betrachteten das Foto. Kopfschütteln.
»Seht mal genau hin, das ist Wiesner mit seiner Frau. Na kommt, nicht so zaghaft. Ich hab der Wiesner jedenfalls gleich eine Frage gestellt, als ich das Foto gesehen habe.«
»Moment«, sagte Hellmer, der sich mit einer Hand übers glatt rasierte Kinn fuhr, »Wiesner hält das Glas in der linken Hand. Ist er Linkshänder?«
»Bingo, der Kandidat hat neunundneunzig Punkte. Und zwar ein Linkshänder, wie er im Buche steht. Wiesner war ein reiner Linkshänder, wie seine Frau mir bestätigte. Aber angeblich hat er sich mit rechts erschossen. Die Waffe lag in seiner rechten Hand, wie’s auf den Fotos zu sehen ist, und Bock hat natürlich auch Schmauchspuren an der rechten Hand gefunden. Tja, das war’s eigentlich fürs Erste, was ich zu sagen hatte. Danke für die Aufmerksamkeit. Ach ja, noch was. Es gibt nur ganz selten Fälle, in denen ein Selbstmörder nach dem Todesschuss die Waffe noch in der Hand hält. Sie fällt meistens runter.«
Berger lehnte sich zurück, Christine
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