Das Syndikat der Spinne
Puschkin.« Sie maß mit den Augen die Entfernung und murmelte: »Das sind sogar mehr als zwei Meter, ich würde sagen zweieinhalb bis drei.« Sie warf einen Blick auf das getrocknete Blut und durchschritt langsam den etwa vierzig Quadratmeter großen Raum.
»Wofür hat er diese Wohnung benutzt?«, wollte Hellmer wissen.
»Seine Frau sagt, hier hat er ab und zu Kunden empfangen. Er hatte auf jeden Fall einen sehr erlesenen Geschmack, wenn ich mir das alles hier so ansehe.« Sie ging zum Fenster, von wo aus sie einen guten Blick auf den kleinen Garten hatte, öffnete die Balkontür und trat nach draußen. Trotz des morgendlichen Berufsverkehrs hielt sich der Geräuschpegel in erträglichen Grenzen. Am Samstagnachmittagmusste es sogar noch stiller gewesen sein, auch wenn Christine Güttler sagte, der Autolärm sei deutlich zu hören gewesen.
»Und jetzt?«, fragte Hellmer, der sich zu ihr gestellt hatte.
»Wir schauen uns noch kurz in den andern Zimmern um, dann fahren wir zu Frau Wiesner. Die Spurensicherung muss unbedingt kommen und alles untersuchen. Fingerabdrücke, Faserspuren und so weiter. Ich hoffe nur, hier haben nicht zu viele Leute rumgemacht. Aber es war ja alles so klar«, fuhr sie sarkastisch fort. »Wenn verdammt noch mal nur einer ein bisschen genauer hingeschaut hätte! Manchmal ist es zum Kotzen.«
»Wir haben ja dich«, versuchte Hellmer sie aufzumuntern und legte einen Arm um ihre Schulter. »Du hast sogar Dinge gesehen, ohne hier gewesen zu sein. Und jetzt ziehen wir das gemeinsam durch.«
»In den Wohnungen darüber und darunter waren die Leute zu Hause. Wären die Schüsse ohne Schalldämpfer abgefeuert worden, hätte es mit Sicherheit wenigstens einer gehört. Eine 9 mm Beretta überhört man nicht. Einen Schuss vielleicht, aber nicht drei.«
»Jetzt komm wieder runter und lass uns in Ruhe die Sache angehen. Es sind nun mal Dinge übersehen oder auch ignoriert worden, doch das können wir nicht rückgängig machen. Ich bin jedenfalls inzwischen auch überzeugt, dass wir es hier mit einem Doppelmord zu tun haben, falls es dich beruhigt.«
Julia Durant lächelte verkniffen. Gemeinsam warfen sie kurze Blicke in die anderen Zimmer, die alle penibel sauber und aufgeräumt waren. Das Bad mit den dunkelblauen Fliesen und Kacheln, der ovalen Badewanne und dem Bidet und Waschbecken mit den vergoldeten Hähnen glänzte, die Küche war offenbar seit längerer Zeit nicht benutzt worden.
»Okay, fahren wir nach Glashütten. Aber ich ruf erst noch bei Frau Wiesner an, ob sie überhaupt zu Hause ist.«
Sie holte ihr Handy aus der Tasche und tippte die Nummer ein.
»Ja, bitte?«, meldete sich Ramona Wiesner.
»Frau Wiesner?«
»Ja?«
»Hier Durant. Würde es Ihnen passen, wenn ich in etwa einer halben, drei viertel Stunde mit einem Kollegen bei Ihnen vorbeikomme?«
»Selbstverständlich, ich bin zu Hause.«
»Dann bis gleich«, sagte Durant und drückte die Aus-Taste. »Also los. Mal sehen, was sie uns noch so zu erzählen hat.«
Während der ersten Minuten hingen Hellmer und Durant ihren eigenen Gedanken nach, bis Hellmer auf einmal sagte: »Weißt du, wie mir das vorkommt? Ich meine, das mit Wiesner und der Puschkin …«
»Nein, doch vielleicht denken wir ja beide das Gleiche.«
»Jetzt halt mich nicht für verrückt, aber ich hab mal einen Film gesehen, in dem es über Auftragskiller ging. Die Puschkin hatte einen Schuss mitten ins Herz und einen in den Kopf. Genauso gehen diese Typen häufig vor. Präzisionsarbeit. Das geht ganz schnell. Zweimal plopp, plopp, und schon bist du hinüber.«
»An so was Ähnliches hab ich auch schon gedacht, aber weshalb sollte ein Auftragskiller einen Mann wie Wiesner umbringen?«
»Woher soll ich das wissen. War ja auch nur so ’ne Idee von mir. Ich hatte jedenfalls noch nie mit solchen Typen zu tun. Vor allem sind sie kaum zu schnappen, weil sie ständig ihre Identität wechseln. Was, wenn Wiesner Dreck am Stecken hatte und er dafür sterben musste?«
»Nee, glaub ich nicht. Wiesner war sauber, das sagt mir einfach mein Gefühl. Der Grund liegt woanders. Aber wo?«
Durant zündete sich eine Zigarette an und sah aus dem Seitenfenster. Sie nahmen die Abfahrt am Main-Taunus-Zentrum und fuhren über die Schnellstraße Richtung Königstein. Hinter Königstein ging es eine Weile bergauf, die Kommissarin wies Hellmer den Weg. Um halb elf hielten sie vor dem Haus, das jetzt allein Ramona Wiesner gehörte. Sie stiegen aus und klingelten.
Montag, 10.30
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