Das Syndikat der Spinne
Augenblick?«, fragte Sophia Wiesner und nahm auf dem Klavierhocker Platz. »Wenn du Hilfe brauchst, wir sind natürlich immer für dich da. Unser Haus steht dir jederzeit offen.«
»Danke, ich komme schon zurecht.«
Thomas Wiesner war fünfundvierzig, einsachtundsiebzig, hatte volles braunes Haar und war leicht untersetzt. Es gab eigentlich nichts, worin er seinem Bruder Andreas glich. Seine Frau Sophia war eine attraktive Frau mit einem beinahe perfekten Körper, sie hatte halblanges fast schwarzes Haar und war seit fünfzehn Jahren mit Thomas Wiesner verheiratet. Sie entstammte einer reichen und angesehenen italienischen Familie und sprach mit einem leichten Akzent, der sehr erotisch wirkte. Ihre Stimme hatte etwas Rauchiges, Herbes, die zu dem ovalen Gesicht mit den hervorstehenden Wangenknochen, den feurigen Augen und der etwas zu langen Nase und den schmalen Lippen passte. Sie hatte lange grazile Finger, die sie kurz über die Tasten gleiten ließ, ohne eine davon anzuschlagen. Während ihr Mann einen dunkelblauen Anzug anhatte, war sie ganz in Schwarz gekleidet. Als Ramona Wiesner gerade zu Boden sah, warf sie einen abschätzenden Blick auf ihr grünes Kleid, machte aber schon im nächsten Moment wieder ein unverbindlich freundliches Gesicht.
»Weißt du schon, wann die Beerdigung sein wird?«, fragte Thomas Wiesner und schlug die Beine übereinander.
Ramona Wiesner schüttelte den Kopf. »Nein. Ich muss erst abwarten, bis die Obduktion vorbei ist. Ihr bekommt rechtzeitig Bescheid.« Sie hatte sich auf die Couch gesetzt, die Beine eng geschlossen, die Hände gefaltet.
»Ich will jetzt nicht noch tiefer in der Wunde bohren, aber du wusstest nicht, dass Andreas eine Geliebte hatte?«, fragte Thomas Wiesner weiter.
»Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich das Drama dann verhindern können? Wahrscheinlich hätte er mich angelogen und behauptet, ich würde mir das mit der Geliebten nur einbilden«, sagte sie und erinnertesich der Worte von Julia Durant, auf keinen Fall jemandem gegenüber etwas davon zu erwähnen, dass Irina Puschkin mit aller Wahrscheinlichkeit nicht die Geliebte ihres Mannes gewesen war, und vor allem, dass die beiden ermordet wurden.
»Sei ehrlich, hat er dir jemals etwas von einer andern Frau erzählt?« Sie sah Thomas Wiesner prüfend an. Der schüttelte den Kopf.
»Ich will dir jetzt nicht wehtun, aber ich habe im Laufe meines Lebens viele Menschen kennen gelernt, die eine geradezu perfekte Fassade um sich aufgebaut haben. Vielleicht gehörte Andreas dazu.«
»Mag sein.«
»Trotzdem kann ich mir irgendwie auch nicht vorstellen, dass er etwas mit einer andern hatte. Irgendwas ist da faul. Andererseits muss ich leider sagen, dass ich in der letzten Zeit ein paarmal die Vermutung hatte, dass … Ich kann mich natürlich auch täuschen. Vergiss es. Was sagt eigentlich die Polizei?«
»Nichts weiter. Sie haben mir ein paar Fragen über Andreas gestellt, und das war’s schon. Für die ist der Fall praktisch abgeschlossen. Und du, Sophia? Du bist doch das intuitive Genie in der Familie. Hattest du je das Gefühl, dass Andreas eine andere hatte?«
»Madonna mia, no! Wie kommst du bloß darauf? Er hatte ganz offensichtlich Geheimnisse vor dir und auch vor uns. Das ist eine Tatsache. Weißt du denn, was für eine Frau sie war?«
»Ich kenne nur ihren Namen, Irina Puschkin. Die Polizei hat mir mitgeteilt, dass sie eine Prostituierte war. Mehr wissen die bis jetzt auch nicht.«
»Mein Gott, eine Hure! Wie tief muss ein Mensch sinken, um sich eine Hure als Geliebte zu halten! Mein eigener Bruder!« Thomas Wiesner sah seine Schwägerin verlegen an. »Entschuldigung, das ist mir so rausgerutscht.«
»Ist schon gut. Du hast ja Recht. Möchtet ihr was trinken?«
»Nein, danke. Wir haben sowieso nicht lange Zeit, ich muss spätestens um drei wieder in der Bank sein. Wir wollten nur mal nachdir sehen. Und wenn wir dir bei den Vorbereitungen für die Beerdigung helfen sollen, dann sag Bescheid. Du weißt ja, dass Sophia immer zu Hause ist, du brauchst sie nur anzurufen.«
»Ich denke, ich werde zurechtkommen. Trotzdem danke für das Angebot.«
»Ich finde, du solltest nicht allein in dem großen Haus bleiben. Lass doch deine Eltern mit den Kindern herkommen.«
»Mir ist im Moment noch nicht danach. Morgen oder übermorgen vielleicht.«
»Und du bist sicher, dass du keine Hilfe brauchst?«, sagte Sophia Wiesner, erhob sich und strich das Kleid gerade.
»Nein, ich schaffe das allein. Ich gebe
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