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Das Syndikat

Das Syndikat

Titel: Das Syndikat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fran Ray
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der sie um das Auto herumgingen, hinaufschauten und sich ins Kreuz griffen, dort, wo ihre Knarren steckten. Es war also so weit. Irgendwie hatte er es sich anders vorgestellt. Er hatte an einen Zusammenbruch gedacht, sogar an einen Herzinfarkt, plötzlich, beim Holzhacken oder auch im Schlaf. Denn wieso sollte er als Einziger davonkommen? Er war der Letzte. Aber dass sie Killer schickten, machte es einfacher. Gegen die konnte er kämpfen. Gegen die hatte er eine Chance.
    Warum kam sie jetzt nicht, die gewaltige Woge aus Wut? Die alle Kraft in ihm bündeln würde, bis er in blindwütigem Toben explodierte, jetzt, wo er sie gut brauchen konnte? Vielleicht besser so. Besser kaltblütig bleiben. Er tastete unters Bett und zog das doppelschneidige lange Messer aus der Halterung.

35
    Kurz vor Metz, E 411
    Fast unmerklich ging die Nacht in den Tag über. Aus einem Schwarzgrau wurde ein schmutziges Grau, das wurde allmählich heller, ein Sonnenstrahl schaffte es nicht, die Schicht aus dichten, schweren Wolken zu durchdringen. Und es sah aus, als würde auch dieser Tag genauso enden wie der davor und all die anderen Tage in diesem endlosen Winter. Karen hielt sich am Lenkrad fest und riss die Augen auf. Auch diese Fahrt, so kam es ihr vor, war endlos.
    Marie Traessart war schließlich doch ans Telefon gegangen, und kaum hatte Karen Thierry und Afghanistan erwähnt, fing sie auch schon an zu schluchzen und legte auf. Zehn Minuten später rief sie wieder an und sagte, sie habe erst einmal Erkundigungen über sie, Karen Burnett, eingeholt. Und ja, wenn Sie sich ausweisen könne, sei sie bereit, Karen zu empfangen. Was ist mit Ihrem Mann, wollte Karen noch wissen, doch da hatte Marie Traessart schon aufgelegt ...
    Metz. Karen erinnerte sich an ihren bisher einzigen Aufenthalt in Metz. Ihre Mutter – natürlich – hatte dort ein Interview zu führen und hatte sie, damals kaum älter als fünf, mitgenommen. Sie aßen in einem Café und besichtigten die Kathedrale. Aber dazwischen lagen lange Stunden mit ihren Malsachen. So war es immer: Malsachen raus, Mutter weg. Wer weiß, mit ein bisschen mehr Talent wäre sie womöglich noch Malerin geworden. Stattdessen hasste sie bald Malbücher, Malstifte, einfach alles, was sie an diese leeren Stunden erinnerte, wenn sie an fremden Orten darauf wartete, dass ihre Mutter endlich wieder zurückkam und mit ihr nach Hause fuhr.
    Als sie noch ein Kind war, lauerte ständig diese Angst in ihr, dass ihre Mutter sie vergessen könnte. Und dann, viele Jahre später, kam Jane Burnett tatsächlich nicht mehr zurück.
    Nachdem der amerikanische Botschafter sie vom tragischen Tauchunfall unterrichtet hatte, war Karen sofort nach Cairns in Australien geflogen. Man hatte nur noch die Pressluftflaschen gefunden, eingekeilt in einem Korallenriff. Haie, hieß es. Seit der Zeit wurde Karen die Bilder nicht mehr los, wie sie selbst von einem Boot aus untätig zusehen musste, wie ein Hai auf ihre tauchende Mutter zuschoss und sie verschlang.
    Karen schüttelte den Kopf, als könnte sie so die Bilder loswerden. In den letzten Jahren waren sie zwar verblasst, aber noch immer farbig und scharf ...
    Zu dicken, abweisenden Mauern aus Schnee waren die akkurat geschnittenen Hecken der Reihenhausgärten geworden und der von den Bürgersteigen gefegte Schnee lag sauber aufgehäuft zwischen den parkenden Autos. Fast an allen Türen hingen getöpferte Namensschilder. Hier also hat er sich seine heile Welt geschaffen, das Böse sollte draußen bleiben, die Gewalt, das Töten, das sollte woanders geschehen. Hier, zu Hause, wollte er alles vergessen, aber das Böse findet immer einen Weg, dachte Karen, während sie vor dem gepflegten Reiheneckhaus am Waldrand parkte.
    Irgendetwas hielt sie zurück, sie stieg nicht gleich aus. Die ganze Strecke über war sie wie gehetzt gefahren, und jetzt, am Ziel, blieb sie sitzen. Bisher war alles doch noch in der Schwebe gewesen, vielleicht ging ja doch alles gut, aber jetzt war sie da, die grausame Gewissheit.
    Gibbs schüttelte sich.
    »Ich muss los«, sagte sie. »Du bleibst hier.« Sie müsste zum Tierarzt mit ihm, überprüfen lassen, ob er einen Chip hatte, vielleicht war er jemandem davongelaufen, einem Kind, das ihn jahrelang suchen würde, so wie Nyström. Jetzt wünschte sie sich, er wäre doch mitgekommen. Hör auf, Karen, steig endlich aus.
    Die Kälte nahm ihr einen Augenblick lang den Atem, und sie blieb stehen. Es hat keinen Sinn, Karen, du musst da rein, du kannst nicht

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