Das Syndikat
Kribbeln erfasste ihn. Er war tatsächlich hier. Das hatte er zur Bedingung gemacht. Er wollte es selbst machen. Es sollte sein Werk sein.
»Wenn etwas fehlt, sagen Sie Bescheid. In dreißig Minuten werden Sie abgeholt«, sagte Koolmans noch, als er ihm die Tür öffnete.
Angenehm kühler Wind schlug ihm entgegen, eine Klimaanlage, Gott sei Dank, er fühlte sich so klebrig und verschwitzt wie noch nie in seinem Leben. Dabei hatte die Fahrt im Jeep kaum länger als eine Minute gedauert.
Er zog das Jackett aus und sah sich um. Bett, Schrank, Tisch, Stuhl und hinter einer Wand: Dusche und WC.
Trotz der einschüchternd spartanischen Einrichtung standen auf einem Tablett Wasser, Kaffee und Sandwiches bereit. Auf dem schmalen Bett mit dem akkurat gespannten Bettlaken lag ein sorgfältig zusammengelegter Kampfanzug.
Nachdem er sich ausgezogen und geduscht hatte, zog er den Kampfanzug an. In diesem Moment geschah etwas Unerwartetes mit ihm. Das Gefühl wurde so überwältigend, dass es wahr sein musste: Endlich gefiel er sich. Die scharfen Bügelfalten, die Schulterklappen, der steife Kragen, das alles gab seinem Körper die Konturen, die er in seiner normalen Kleidung nur als unbefriedigend weich empfand. Zu lange Ärmel oder zu lange Hosenbeine führten ihm auf beschämende Weise seine magere Statur vor Augen. Aber jetzt: Die Uniform hatte sogar die richtige Größe. Und auf der linken Brusttasche prangte die blaue Weltkugel mit der goldenen Manschette.
Ein Klopfen an der Tür riss Paul Cortot aus seiner Selbstverliebtheit. Dass der Soldat, vielmehr der Contractor , die gleiche Uniform trug wie er, erfüllte ihn zuerst mit dem Gefühl von Peinlichkeit, er fühlte sich dem anderen zu nah, und irritiert wich er einen Schritt zurück, aber auf einmal tauchte da noch etwas anderes aus seinem tiefsten Innern auf: Ein warmer Strom, so fühlte es sich an, überschwemmte ihn. Endlich gehörte er dazu. Er war aufgenommen in eine besondere Gemeinschaft, zu der andere keinen Zugang hatten. Er gehörte zu diesen muskelbepackten Männern, die mit Waffen umgingen, Autos durch unwegsames Gelände jagten und mit Panzern Mauern einrissen.
Heldenhaft und siegreich würde er sie machen, er, Dr. Paul Cortot. Mit diesen Gedanken und Gefühlen folgte er dem Contractor hinaus ins Freie, in das sengende Sonnenlicht ...
Drängendes Hupen ließ ihn aus seiner Erinnerung hochfahren. Die Ampel war grün. Was würde der hinter ihm wohl machen, dachte er, wenn er jetzt einfach den Rückwärtsgang einlegen, Gas geben und sein Auto zu Schrott fahren würde? Er warf einen lächelnden Blick in den Rückspiegel.
Aber dann brachte er es doch nicht fertig, er verhedderte sich schon wieder in Eventualitäten und Kleinigkeiten. Und was, wenn ... wenn jemand verletzt wurde? Oder wenn er zu wenig Gas ab und nur die Stoßstange eindrückte, immerhin war der Wagen hinter ihm ein Audi, gegen den konnte er nichts ausrichten, da müsste er schon in voller Fahrt ...
Er seufzte, legte den ersten Gang ein und fuhr langsam an.
Wie immer.
47
Rue Mauriac. Das Haus war ein moderner, nüchterner, nicht gerade schöner Betonbau, der im Laufe der Jahre das typische Dunkelgrau angenommen hatte, das viele Städte so trist machte, besonders jetzt, im Winter, wenn dem Himmel das Blau fehlte. Immerhin, alle Wohnungen hatten Balkons und große Fenster.
Karen wollte lieber nicht darüber nachdenken, was sie bei Dr. Paul Cortot vorfinden würde, ob Thierry Traessart schon bei ihm war, und auch die Gedanken an die Story ihrer Mutter schob sie beiseite.
Sie musste jetzt konzentriert sein. Sie ließ Gibbs, der sich noch immer in der Decke wärmte, im Auto, stieg aus, ging über die Straße und drückte auf den in einer Messingtafel eingelassenen Knopf, neben dem Cortot stand.
Beim zweiten Mal knisterte der Lautsprecher, und eine Stimme krächzte: »Ja?«
»Dr. Cortot?«
»Ja ...«
Sie war erleichtert. Sie musste es vor Thierry geschafft haben.
»Karen Burnett«, sagte sie, »ich muss dringend mit Ihnen sprechen. Ich habe versucht, Sie anzurufen, aber ...«
»Ganz oben rechts.«
Der Lautsprecher hörte auf zu knistern, der Summer ertönte, und Karen drückte die Tür auf.
Sie nahm den Aufzug in die oberste Etage und klingelte.
Die Tür öffnete sich. Seltsam, niemand stand dort.
»Dr. Cortot?«, fragte sie in die Leere. Hatte sie nicht Schritte gehört oder war das Einbildung gewesen?
Zögernd betrat sie die Wohnung. »Dr. Cortot?«
Es roch nach Vanille, nach
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