Das Syndikat
diesem künstlichen Raumaroma. Der dicke, sicher teure Teppich schluckte ihre Schritte. Es war still, viel zu still.
»Dr. Cortot?«
Großformatige Bilder hingen in der Diele, abstrakte Malerei. Ein sorgfältig arrangiertes Ensemble aus Bambuspflanze, Designerstuhl und antikem Holztisch mit einer Frauenzeitschrift fiel ihr auf. Irgendetwas zog sie weiter hinein in diese Hochglanzwohnung. Ein warmes Orange schimmerte ihr aus einem Durchgang entgegen, vom Wohnzimmer wahrscheinlich. Irgendetwas stimmte nicht. Nicht nur die Stille, nein, etwas anderes.
»Dr. Cortot?«
Plötzlich fiel er ihr auf: der Geruch nach scharfem Schweiß, der nicht hierhergehörte, der den Vanilleduft überlagerte, und da begriff sie, dass sie in die Falle getappt war, jemand hatte ihr geöffnet, und dieser Jemand war hier. Abrupt drehte sie sich um, raus hier, so schnell wie möglich ... Gedanken blitzten auf, dann kamen wieder die Bilder aus der Wüste, von dem Jeep, den Männern ... Immer schneller flackerten die Flashs aus ihrem Leben auf, Bruchteile von Sekunden nur, aber währenddessen fühlte sie sich wie gelähmt, unfähig zu fliehen – und als eine Hand ihr Handgelenk packte, kam es ihr vor, als wäre dies schon längst für sie vorgesehen, als hätte es so kommen müssen, jetzt, nachdem sie schon so oft entkommen war. Eine stählerne Kraft drehte ihr den Arm auf den Rücken, sie sackte zu Boden, den beißenden Schweißgeruch nahm sie gerade noch wahr, dann traf sie ein Schlag auf den Kopf, ein Bedauern erfüllte sie, es war wie ein tiefes, trauriges Ziehen in ihrem Körper, dann endete auch das.
48
»He, wieso habt ihr einfach bestimmt, dass Gilles bei ihr bleibt und nicht ich? Sag schon! Ich bin nicht so, wie ihr denkt. Ich hab ein paar richtig gute Sachen gemacht. Sonst hätte mich Rouge nicht engagiert, ist ja wohl klar«, sagte Tiger.
»Halt einfach dein Maul«, brummte Gaddafi. Er konnte Kerle wie Tiger nicht ausstehen, die mussten sich immer produzieren. Kleine Arschlöcher waren das, auf die man sich nicht verlassen konnte. Er hätte Nein sagen sollen, als Gilles ihn anschleppte, er hätte noch länger nach einem Ersatz für Quentin suchen sollen. Aber diesmal hatte er einfach keine Energie aufgebracht. Gehirntumor.
»Oder?« Tiger hatte weitergequatscht, das merkte Gaddafi erst jetzt.
Inzwischen waren sie vor dem herrschaftlich aussehenden Wohnhaus in der Rue de Jaurès angekommen.
»Wir sind da«, sagte er.
»Du hast mir nicht zugehört«, fing Tiger wieder an. »Ich hab recht: Ihr nehmt mich nicht ernst, dabei ...«
»Halt die Klappe, verdammt noch mal!«, herrschte Gaddafi ihn an, und endlich schwieg Tiger, kaute nur noch auf seinem Kaugummi herum.
»Ne Chinesin ist ja wohl nicht zu übersehen«, brummte er dann doch.
»Vietnamesin«, berichtigte Gaddafi ihn und verdrehte genervt die Augen.
»Schlitzauge bleibt Schlitzauge«, Tiger lachte, »haben alle die gleichen engen Fotzen!«
49
»Hast du alles, Linh?« Lan Peyroux öffnete die Tür des schwarzen Chrysler für ihre Tochter, die zuerst ihre Schultasche auf den Rücksitz warf und dann hinterherkletterte.
»Jaaaa!«
»Du weißt, dass du letzte Woche dein Geografie-Buch vergessen hast. Also, meine Frage ist durchaus berechtigt.« Lan musste sich manchmal viel Mühe geben, damit sie streng genug war mit ihrer Tochter. Aber es musste sein. Ohne Disziplin kam man nicht weit.
»Jaaaa! Aber das war eine Ausnahme! Ich vergesse sonst nie etwas.«
»Oh, das habe ich aber anders in Erinnerung, mein Schatz. Ich sage nur Mathematik, letzten Monat.« Lan sah ihre Tochter eindringlich an, doch die wich ihrem Blick aus und rutschte auf dem Sitz herum, als würde sie versuchen, sich anzuschnallen.
»Den Test haben alle vergessen!«, protestierte die Achtjährige.
»Alle?« Lan hob die Augenbrauen. »Alle außer Sofia und Eric und ...«
»Ich hab trotzdem eine Zwei gekriegt«, fiel Linh ihr ins Wort.
»Aber sonst hättest du eine Eins bekommen«, beharrte Lan.
»Eine Zwei heißt Gut, Maman!«
Ihre Tochter rutschte weiter unruhig auf dem Sitz hin und her. Tatsächlich hatte Lan Peyroux schon befürchtet, dass Linh unter ADHS litt, dem Hyperaktivitätssyndrom, und sie hatte sie von der Kinderpsychologin untersuchen lassen. Doch die hatte nichts feststellen können. Ihre Tochter ist völlig gesund! Vielleicht sollte sie sich doch an einen Spezialisten wenden, dachte sie jetzt wieder.
»Ich will nur nicht, dass du leichtfertig mit den Dingen umgehst. Vor allem nicht
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