Das System
»stümperhaft« gehörten noch
zum mildesten Vokabular, das er gebraucht hatte. Unger hatte sich und das ganze Kommissariat 12 blamiert. Durch seine Fehlentscheidungen
hatte er diesen Schlamassel |101| erst heraufbeschworen. Es wäre ungerecht gewesen, Dreek die Schuld an der Pannenserie zu geben. Trotzdem hatte er große Lust
gehabt, den Druck, den er selbst verspürte, weiterzugeben.
Er holte tief Luft. »Er nimmt den Einsatz auf seine Kappe. Aber wir können froh sein, dass wir die Suchaktion abgeblasen haben,
nachdem das Handy aufgetaucht ist.«
»Ich finde ja immer noch, dass wir Helius mit einer Hundestaffel …«
Der Hauptkommissar spürte Zorn in sich aufwallen. »Dreek, sind Sie eigentlich so begriffsstutzig, oder tun Sie nur so? Haben
Sie immer noch nicht kapiert, dass wir verarscht werden? Wir haben vier SMS mit dem Aufenthaltsort von Helius bekommen, von
jemandem, der offensichtlich in der Lage ist, ihn über sein Handy zu orten. Jemand, der unbedingt will, dass wir Helius fassen.
Haben Sie sich mal gefragt, warum?«
»Vielleicht, weil derjenige auch an der Aufklärung des Mordes interessiert ist …«
»Und deshalb anonym im Hintergrund bleibt, statt sich bei uns zu melden? Wissen Sie, was ich glaube? Ich glaube, unser unbekannter
Helfer ist selbst der Mörder. Er ist derjenige, der die Schließanlage manipuliert und den Verdacht auf Helius gelenkt hat.«
»Heißt das, ich soll die Fahndung aufheben?«, fragte Dreek in trotzigem Tonfall. Er konnte es offenbar nicht verwinden, dass
Helius ihm gleich zweimal durch die Lappen gegangen war, und war in seinem Polizistenstolz verletzt.
»Nein. Ich möchte auf jeden Fall so schnell wie möglich noch einmal mit Helius sprechen. Außerdem ist es besser, wenn der
Mörder denkt, er sei weiterhin unser Hauptverdächtiger. Haben Sie inzwischen bei der Telefongesellschaft angerufen?«
»Ja. Es ist wirklich ein bisschen seltsam, Chef. Die Nummer, die in der SMS als Absender aufgeführt wurde, scheint nicht vergeben
zu sein.«
|102| Unger runzelte die Stirn. »Ich dachte, man könnte den Weg jeder SMS anhand der Protokolle der Telefongesellschaften nachvollziehen.
Ich meine, das kostet doch was, und die müssen doch irgendwie …«
»Eigentlich kann man das auch. Aber in diesem Fall gibt es anscheinend keine Aufzeichnungen. Es ist, als ob die SMS, die Sie
bekommen haben, nie gesendet wurden. Ich habe mit einem Spezialisten von der Kriminaltechnik gesprochen. Er sagte, die einzige
Erklärung dafür wäre, dass jemand die Protokolle der Telefongesellschaften manipuliert hat. Aber das ist nach seiner Meinung
eigentlich ausgeschlossen. So was könnte höchstens ein Mitarbeiter der Telefongesellschaft machen.«
»Was schließen Sie daraus?«
Dreek zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, Chef. Sieht fast so aus, als hätten wir es hier mit einer Organisation zu
tun, die ziemlich weitreichende Verbindungen hat.«
Unger nickte. »Die Sache ist größer, als wir dachten. Sehr viel größer vielleicht.«
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25.
Lüneburger Heide,
Freitag 23:18 Uhr
Die Wolken hatten sich verzogen und einen sternenklaren Himmel enthüllt, der leider auch niedrige Temperaturen mit sich brachte.
Mark wagte es nicht, ein Feuer zu entzünden. Er hatte versucht, es sich irgendwie auf der harten Holzbank bequem zu machen
und zu schlafen, doch obwohl er erschöpft war, fand er keine Ruhe. So lag er dort und starrte durch das Rauchabzugsloch in
der Mitte der Hütte auf einen kleinen Ausschnitt des Himmels, der dennoch erstaunlich viele Sterne enthielt. Fernab von den
Lichtern der Großstadt erschien der Himmel hier in der Heide beinahe so, wie er vor |103| der Erfindung der Elektrizität überall ausgesehen haben musste. Die Menschen hatten mit ihren künstlichen Feuern die Nacht
erhellt und dabei den Blick auf die Sterne verloren. Es war ein Verlust, den kaum ein Mensch je wahrnahm.
Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Wer hatte DINA manipuliert? Warum? Wie war er – wie waren sie, denn vermutlich waren
es mehrere – in das System eingedrungen? Ludger hatte immer mit Hackerangriffen gerechnet und DINA sehr gut gegen Missbrauch
geschützt. Hatten sie vielleicht einen Helfer in der Firma?
Es erschien undenkbar, dass ein Mitglied des Teams einen solchen Verrat begangen haben konnte, aber je länger Mark darüber
nachdachte, desto plausibler erschien ihm diese Möglichkeit. Es würde erklären, weshalb der Täter ohne
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