Das System
Einbruchsspuren in
das Büro eindringen konnte und wieso Ludger kurz vor seinem Tod keinerlei Verdacht geschöpft hatte. Vielleicht hatte einer
der Mitarbeiter dem Mörder die Tür geöffnet. Ja, so musste es gewesen sein.
Im Geiste ging er alle Mitarbeiter des Teams durch. Sie alle waren mindestens vier Jahre in der Firma, denn seit dem Zusammenbruch
der New Economy hatte D. I. niemanden mehr eingestellt, sondern im Gegenteil mehrmals Mitarbeiter entlassen müssen. Mark kannte
jeden von ihnen gut genug, um zu wissen, dass es bescheidene Menschen ohne eine Spur von falschem Ehrgeiz oder Habgier waren.
Das Team hatte einfach perfekt zusammengepasst. Undenkbar, dass einer von ihnen ein Verräter war, jemand, der den Tod von
Ludger mit verschuldet, wenn nicht sogar verursacht hatte. Und doch blieb es die einzige Erklärung. Jemand hatte die Schließanlage
manipuliert. Es musste also einer aus dem Programmierteam gewesen sein, mit entsprechenden Kenntnissen. Aber wer?
Es musste Spuren der Manipulation im System geben. Mark verstand nicht allzu viel von den technischen Details, aber er wusste,
dass jeder Eingriff – auch die Beseitigung von |104| Spuren – ihrerseits Spuren hinterließ. Wenn er beweisen konnte, dass die Schließanlage manipuliert worden war, hatte er vielleicht
eine Chance, die Polizei zu überzeugen, nach dem wahren Mörder zu suchen. Und vielleicht fand er so auch einen Hinweis auf
den Täter.
Aber er selbst besaß nicht das technische Wissen, um solche Spuren zu finden. Er brauchte Unterstützung, einen Profi, der
verstand, was vor sich gegangen war. Jemanden außerhalb der Firma.
Es gab nur eine Person, die ihm einfiel. Aber es war mehr als fraglich, ob diese Person ihm helfen würde.
Mark blickte in den Sternenhimmel, während in ihm die Erkenntnis reifte, dass sein Schicksal von einer jungen Programmiererin
abhing, die er selbst vor drei Monaten gefeuert hatte.
Ein Lichtpunkt zog langsam über den Ausschnitt des Firmaments, hell wie die Venus, doch viel zu schnell für einen natürlichen
Himmelskörper. Ein Satellit vielleicht, obwohl das Licht dafür eigentlich zu hell war. Ehe er das Rätsel klären konnte, war
der künstliche Stern hinter dem Holzdach der Hütte verschwunden.
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26.
Internationale Raumstation ISS,
Samstag 4:15 Uhr
Andrea Cantoni schlug die Augen auf. Er brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. In seinen Träumen war er auf festem
Boden gelaufen, durch grüne Wiesen gerannt, mit Cilia um die Wette, hatte sich neben sie ins weiche Gras fallen lassen, mit
ihr gerangelt, sie geküsst, sie geliebt, während die heiße italienische Sonne auf seinem nackten Körper brannte.
Die ernüchternde Realität drang mit dem kalten, weißen Licht der Neonröhren in sein Bewusstsein. Es war sehr warm. Die Baumwoll-Unterwäsche
klebte ihm am Körper. |105| Das war schlecht. Schweiß war in der Schwerelosigkeit eine verdammt unangenehme Angelegenheit.
Er befreite sich aus dem Schlafsack und zog sich seinen dunkelblauen Overall über, obwohl er sich am liebsten nackt ausgezogen
hätte. Seine Kehle war trocken. Was war los? Hatte er Fieber?
Sein Blick fiel auf die Glaskästen, in denen sich die Pflanzen und Kulturen befanden. Einen Augenblick lang dachte er, dass
mit dem Licht etwas nicht stimmte. Dann begriff er den Grund dafür, dass die Halme und Blätter nicht mehr grün, sondern gelblich-braun
aussahen: Sie waren vertrocknet.
Was war los, verdammt noch mal? Hatte Juri die Heizung so hochgedreht? Wollte er ihn jetzt ausdörren wie Backobst? Inzwischen
gab es kaum noch eine Übeltat, die Cantoni dem Russen nicht zutraute. Die letzten Tage waren die Hölle gewesen. Nach dem Computerabsturz
hatte Orlov Cantoni verboten, das Zvezda-Modul zu betreten, außer er musste auf die Toilette. Er hatte Cantonis Schlafsack
und seine persönlichen Dinge in das Destiny-Labor verfrachtet und schlief nur noch mit verschlossenem und gesichertem Schott.
Die Tatsache, dass seitdem keine Computerprobleme mehr aufgetreten waren, hatte Orlovs Misstrauen eher noch wachsen lassen,
schien es doch wie eine Bestätigung seiner paranoiden Vorsichtsmaßnahmen.
Eigentlich war es Cantoni nur recht, dass sie sich aus dem Weg gingen. Aber er wusste, dass der schwere Bruch zwischen ihnen
eine große Gefahr darstellte. Sie waren hier oben aufeinander angewiesen. In einer Krise konnte Misstrauen tödliche Folgen
haben. Und wenn Juri jetzt vollkommen
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