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Das System

Das System

Titel: Das System Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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durchgedreht war …
    Er schwebte zu der Schalttafel, die die Lebenserhaltungssysteme des Destiny-Moduls kontrollierte. Alle Kontrolllampen leuchteten
     grün. Die Temperaturanzeige zeigte 33 Grad Celsius an.
    Cantoni tippte auf eine Taste, um die Zieltemperatur auf |106| die gewohnten 20 Grad herunterzuregeln. Doch jedes Mal, wenn er die gewünschte Zahl eingestellt hatte, blinkte die Anzeige
     kurz auf und stellte sich wieder auf 33 Grad ein. Offenbar änderte der Computer die Zieltemperatur automatisch wieder auf
     den viel zu hohen Wert.
    Das war ein verdammt ernstes Problem. Die Luft in der Station musste permanent temperiert werden. Auf der Schattenseite der
     Station herrschten Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt, auf der anderen Seite heizte sich die Außenhülle durch die ungefilterte
     Sonnenstrahlung sehr schnell auf. Hinzu kam, dass die elektrischen Geräte an Bord wie Heizöfen wirkten. Das computergesteuerte
     Lebenserhaltungssystem sorgte deshalb dafür, dass über einen Luftkreislauf die richtige Wärmemenge in kühle Regionen transportiert
     und überschüssige Energie nach außen abgestrahlt wurde. Wenn das System ausfiel, würde das Innere der Station in kurzer Zeit
     zu einem Backofen werden.
    Erst die Computerprobleme, jetzt das. Er dachte an die Geschichten seiner Großmutter von Poltergeistern, die manchmal in alten
     Häusern herumspukten. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie er sich als kleiner Junge gegruselt hatte, wenn sie mit
     ihrer dunklen, eindringlichen Stimme davon erzählte. Die Erinnerung ließ ihn frösteln. Wenn tatsächlich ein böser Geist in
     der Station …
    Er schüttelte den Kopf. Er war Wissenschaftler, verdammt noch mal. Die einzigen bösen Geister, mit denen man es im einundzwanzigsten
     Jahrhundert zu tun bekommen konnte, waren Menschen. Sie waren die Ursache aller Probleme und damit notwendigerweise ein Teil
     der Lösung.
    Er hangelte sich zum Zvezda-Modul. Durch das geschlossene Schott konnte er Orlov mit dem russischen Kontrollzentrum telefonieren
     hören. Trotz seines Russisch-Intensivkurses verstand er nur ein paar Brocken des Gesprächs: »Temperatursteuerung … schon überprüft
     … glaube nicht an Zufall … er schläft …«
    |107| Cantoni betätigte einen Knopf, und das Schott öffnete sich geräuschvoll. Orlov sah ihn mit einem seltsamen Gesichtsausdruck
     an, den Cantoni nicht richtig deuten konnte. »Ja, ist gut, mach ich«, sagte er auf Russisch und beendete das Gespräch.
    »Juri, wir müssen reden«, sagte Cantoni.
    Zu seiner Verblüffung nickte Orlov. Er wirkte verärgert, aber nicht feindselig.
    »Was ist mit der Temperatursteuerung los? Es ist viel zu warm.«
    »Ist doch eine herrliche Temperatur«, sagte Orlov trotzig. »Stell dir einfach vor, du liegst am Strand in der Sonne.«
    »Die Steuereinheit ist kaputt, nicht wahr? Wir müssen sie austauschen.«
    »Die Steuereinheit ist in Ordnung, habe ich schon getestet. Der Fehler muss in der Software liegen. Aber ich finde nichts.«
     Zum ersten Mal, seit Cantoni ihn kannte, flackerte so etwas wie Unsicherheit in Orlovs Augen auf. Das erschreckte ihn mehr
     als das Computerproblem selbst. Wenn dieser grobschlächtige Macho verunsichert war, musste die Lage tatsächlich sehr ernst
     sein.
    »Heißt das, du glaubst nicht mehr, dass ich den Rechner manipuliert habe?«
    Orlov bleckte die Zähne zu einem furchterregenden Grinsen. »Ich glaube, du bist ein, wie sagt man, Angsthase, Kamerad. Aber
     du bist kein Computergenie. Und diesmal ist der Fehler aufgetreten, als du geschlafen hast.«
    Cantoni wartete einen Moment, aber eine Entschuldigung für Orlovs Verhalten der letzten Tage kam nicht. Trotzdem war er unendlich
     erleichtert. »Schon gut«, sagte er. »Was sagt Mission Control?«
    »Sie schicken uns eine neue Steuereinheit rauf.«
    »Das ist alles? Sie schicken uns eine neue Steuereinheit rauf?«
    Orlov zuckte mit den Schultern. »Was sollen sie tun? Sie |108| können den Fehler auf ihrem System nicht nachvollziehen. Die Software ist in Ordnung, sagen sie. Wir beide sind keine Computertechniker.
     Wir können das System nicht reparieren.«
    »Dann müssen wir die Station sofort verlassen«, sagte Cantoni.
    Orlov sah ihn an, als hätte er gerade vorgeschlagen, die ISS in die Luft zu sprengen. Seine Augen verengten sich. »Verlassen?
     Ich habe nicht richtig verstanden. Oder?«
    Irgendjemand musste ja das Unvermeidliche aussprechen. »Wir können hier nichts tun«, sagte Cantoni. »Wenn

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