Das Tagebuch der Eleanor Druse
ihrer Tochter allein zu sein, und suchte in meiner Tasche nach meinem Channeling-Kristall. Jedes Mal, wenn ich ein Problem habe, das ich nicht mit Hilfe der nachlassenden Kräfte meines Verstands lösen kann, nehme ich einen guten Channeling-Kristall zur Hand und tauche damit in die Tiefen meines Unterbewusstseins ein, wo ich Quellen anzapfe, die sich rationalem Denken nicht erschließen.
Ein gutes Pendel bewirkt nicht nur eine Verbindung zum Unterbewusstsein – dem Unbewussten, wie CG. Jung es nannte –, sondern verschafft uns auch einen Zugang zu vielen anderen, unerforschten Bereichen unserer Seele, die der schwache Lichtschein des bloßen Bewusstseins nicht zu erhellen vermag. Stellt man dem Pendel eine Frage, wird diese von unseren eigenen inneren Vibrationen beantwortet. Ich nahm den Kristall, hielt ihn an den Spitzen zwischen Daumen und Zeigefinger und schloss die Augen. Ich hörte die Stimmen von Nancys Familie und wartete, welche Bilder dabei in mir aufstiegen. Ich bat den Kristall um Rat und horchte in mich hinein.
»Was haben Sie denn da?«, fragte Renn.
Ich öffnete die Augen und machte mich mit Renn und Margie bekannt.
»Entschuldigen Sie, wenn ich so neugierig bin, aber was ist das da in Ihrer Hand?«, wollte Renn wissen.
Ich zeigte ihm meinen Channeling-Kristall.
»Seht euch das mal an«, sagte Renn und winkte Virginia und Dave herbei. »Und was macht man damit?«
»Damit kann ich meine geistigen Energien bündeln. Wenn ich ihn in der Hand halte, die Augen schließe und meditiere, hilft er mir dabei, Kräfte in meinem Unbewussten freizusetzen.«
»Wow«, meinte Renn. »Und Regenbogen an die Wand werfen kann er auch noch.«
»Kann man damit auch in die Zukunft sehen?«, fragte Virginia.
»Nein, so was gibt es nur im Film«, antwortete ich. »Aber wenn man den richtigen Kristall an einen Faden bindet und als Pendel benützt, gibt er einem manchmal Ratschläge, aber diese kommen dann aus einem selbst und nicht aus der Zukunft oder der Geisterwelt.«
»Schade, ich muss jetzt los zum Bowling«, sagte Renn.
»Aber wenn ich das nächste Mal komme, könnten Sie dem Kristall dann ein paar Fragen für mich stellen?«
»Das mache ich gern«, sagte ich.
STEGMAN
Ich saß wie auf Kohlen (oder wie auf Dohlen, wie meine Mutter immer zu sagen pflegte) und konnte es kaum erwarten, dass mir die Ärzte die Aufnahmen von meinem Gehirn zeigten.
Immerhin hatte ich in dem Magnetresonanztomographen nicht nur eine mystische Transformation erfahren, höchstwahrscheinlich hatte das Gerät sie auch aufgezeichnet.
Die Visite war bereits überfällig, möglicherweise saßen die Ärzte noch immer oben vor dem Monitor, sahen sich wieder und wieder die Aufnahmen von meiner großartigen Erleuchtung an und konnten sich gar nicht davon losreißen.
Wer weiß, vielleicht inspirierten meine Gehirnaufnahmen sie dazu, hier im Boston General Hospital mit einer neuen medizinischen Studie über den Nachweis mystischer Zustände anhand von Gehirnaufnahmen zu beginnen, und dann würden meine Bilder möglicherweise sogar in Science oder Nature abgedruckt, gleich neben denen eines Zen-Mönchs aus Tibet auf seiner Reise ins Nirwana.
Es war alles so aufregend, dass ich regelrecht Schuldgefühle bekam, weil es das Schicksal so gut mit mir meinte, während Nancy Conlan im Bett neben mir dahinvegetierte. An diesem Vormittag hatte sie grässliche Grimassen geschnitten, würgende Laute von sich gegeben, wie eine Spastikerin gezuckt und so stark an ihren Fesseln gezerrt, dass die Bettgitter wackelten. Als ich Claudia auf der Intensivstation gefragt hatte, weshalb die Patienten angebunden würden, hatte sie mir geantwortet, dass sie sonst ihre Schläuche abreißen könnten. Das klang plausibel, schließlich hatte Nancy schon zweimal ihre Magensonde herausgezogen.
Während ich ungeduldig auf die Visite wartete, fing sie einmal sogar laut zu lachen an. Zumindest hörte es sich so an.
Es war ein ausgesprochen unheimliches Geräusch.
Ich stand auf und ging zu ihrem Bett hinüber, um nach ihr zu sehen. Sie fixierte mich mit einem Blick, der durch mich hindurch zu gehen schien. Beim Atmen gab sie leise, rasselnde Töne von sich, während sich die dunkle Öffnung ihres Mundes rhythmisch weitete und wieder zusammenzog. Dann verzerrte sie das Gesicht und fing wieder mit ihren Kaubewegungen an.
Es sah aus, als versuchte sie, mit den Lippen anstatt den Zähnen einen riesigen, unsichtbaren Knochen abzunagen.
Nach einer Weile verdrehte sie
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