Das Tagebuch der Eleanor Druse
schaute mich an, als ob mir bald ein zweiter Kopf wachsen würde. »Ich verstehe das alles nicht, Bobby! Was soll das bedeuten? ›Das kleine Mädchen, das uns gerettet hat‹?«
»Das bedeutet, dass Mrs. Kruger reif für die Klapsmühle war. Geschlossene Abteilung. Absolut plemplem.«
»›Das Feuer konnte ihm nichts anhaben.‹ Welches Feuer denn, Bobby? Und welches kleine Mädchen soll uns gerettet haben? Warum kann ich mich nicht mehr daran erinnern?
Vielleicht habe ich Alzheimer. Und wenn das tatsächlich der Fall sein sollte, dann musst du mir versprechen, dass du dafür sorgst, dass ich sanft einschlafe und du meine Knochen an Skipper verfütterst.«
»Auf dem Brief steht November 1939«, brummte Bobby.
»Außerdem schreibt sie etwas von einem Feuer. Wann ist eigentlich das alte Kingdom abgebrannt, Mom? Das muss doch um diese Zeit gewesen sein, oder? Aber das kann ich auch auf dem Gedenkstein nachsehen, wenn ich am Montag wieder zur Arbeit gehe.«
»Ich war in dem alten Krankenhaus, kurz bevor es abgebrannt ist«, sagte ich. »Und zwar tatsächlich gemeinsam mit Madeline. Wir hatten beide Keuchhusten. Aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern, Bobby. Ich konnte mich noch nie daran erinnern. Man sagt, so was kommt vor, wenn man hohes Fieber hat. Da werden gewissermaßen die alten Datenbanken im Gehirn gelöscht.«
Das kleine Mädchen, das uns gerettet hat, irrt noch immer umher?
DIE FAMILIE
An diesem Abend kam gleich nach der Essenszeit Nancy Conlans Ehemann Dave. Zur Verstärkung hatte er seine Mutter dabei, und sie brachten Nancy einen Blumenstrauß, eine gesteppte Tagesdecke sowie einige Karten und Briefe, die sie auf dem Serviertisch hübsch anordneten. Außerdem hatten sie ein weiteres gerahmtes Foto von Nancy und ihren drei Kindern dabei, das sie zu den anderen auf ihrem Nachttisch stellten.
Dave Conlan hatte Hängeschultern, muskulöse Oberarme und einen altmodischen Flattop-Haarschnitt. Er ging gebückt, als hätte er zeit seines Lebens schwere Lasten geschleppt. Seine leer und starr wirkenden blauen Augen kamen mir vor wie Kontrolllampen, die anzeigten, dass er längst auf Autopilot geschaltet hatte – und zwar seit der Zeit, als seine Frau nach einer Routineoperation, bei der eine Arachnoidalzyste in der Nähe des Hirnstamms entfernt werden sollte, nicht mehr aufgewacht war.
Daves Mutter Virginia war um die fünfzig und trug einen schwarzen Nylonkittel mit einem grellrosa Namensschild von HELENAS HAIR HOUSE, dessen Logo aus einer stilisierten Frisur und einer Schere bestand. Ihre sorgfältig manikürten Fingernägel waren viel zu lang und viel zu rot, und an ihren stark gefärbten, hochtoupierten Haaren konnte man unschwer erkennen, dass sie in einem Friseursalon arbeitete.
Sie kam zu mir und reichte mir einen Schnappschuss aus einer unwiederbringlichen Vergangenheit, der Nancy mit den drei Kindern an einem Picknicktisch zeigte. Zwischen den Beinen der Kinder, die gerade Seifenblasen in die Luft gepustet hatten, tollte ein Golden Retriever herum. Nancy, deren seidenes Haar in der Sonne glänzte, strahlte vor Glück und griff mit ihren schlanken Fingern nach einer unförmig wabernden, von feinen Regenbogenwirbeln überzogenen Seifenblase, die wie ein traumhaft schönes, durchscheinendes Etwas gerade außerhalb ihrer Reichweite durch die Luft entschwebte.
Genau dafür hat Gott den Menschen die Fotografie erfinden lassen: damit wir einen greifbaren Beweis dafür haben, dass das Glück nicht nur das Produkt unserer verschwommenen Erinnerung ist, sondern einmal ganz konkret existiert hat. Als ich Daves große, schwielige Hand schüttelte, fühlte es sich an, als schöbe ich meine Finger in den Lederhandschuh eines Fängers beim Baseball. Ich zuckte innerlich zusammen, als ich an seine drei kleinen Kinder dachte und an das Geld, das er mit diesen großen, rauen Händen verdienen musste, um für diese nur mit Mühe atmende, ans Bett gefesselte menschliche Hülle aufkommen zu können, für dieses Bild des Jammers, diese beständige Erinnerung an einen schrecklichen Schicksalsschlag.
Virginia stellte das Foto zurück auf den Nachttisch. Ich spürte, dass sie jetzt vor lauter Verlegenheit am liebsten den Vorhang zugezogen hätte, weil sie wusste, dass sie bestimmt gleich in Tränen ausbrechen würde. Aber sie sah zu mir herüber und ließ den Vorhang offen. Wahrscheinlich empfand sie es als unhöflich, mich auf diese Weise auszuschließen.
Auch meine Beteuerung, dass sie den Vorhang gerne
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