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Das Tagebuch der Eleanor Druse

Das Tagebuch der Eleanor Druse

Titel: Das Tagebuch der Eleanor Druse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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erinnerten: »Kontrakturen.«
    Die anderen Ärzte machten sich sorgfältig Notizen und murmelten »interessant« oder »sehr interessant«, während Stegman über Urämie, Nancys Leukozytenzahl oder ihren erhöhten pH-Wert schwadronierte.
    Als er mit seinem Vortrag fertig war, gab er Tiffany ein Zeichen, damit sie Nancys Fesseln löste. Dann demonstrierte er, zu welchen Bewegungen ihre abgemagerten Glieder noch in der Lage waren, zog sie hierhin und dorthin und erklärte ihre Beeinträchtigungen mit lateinischen Begriffen wie Dyskinesie oder Torticollis, wobei er es nicht versäumte, sich ab und zu in Pose zu werfen und die bewundernden Blicke der angehenden Fachärztinnen einzuheimsen.
    Schließlich zog sich Stegman einen Latexhandschuh über die rechte Hand und ließ sich von Tiffany einen Holzspatel geben, mit dem er Nancys Zunge herunterdrückte und den wissbegierigen jungen Medizinern einem nach dem anderen ein äußerst interessantes Beispiel von Soormykose zeigte. Der Hefepilz hatte sich wie ein weißer Pelz in Nancys ganzen Mund ausgebreitet und hätte, den erschrockenen Gesichtern der Studenten nach zu schließen, selbst Hiob an seinem Glauben zweifeln lassen. Entweder war es Gott oder der Teufel, der mich auf einmal ahnen ließ, was als Nächstes passieren würde. Oder vielleicht war sogar ich selbst diejenige, die über eine bisher noch nicht erklärbare Form der Psychokinese die letzten noch übrig gebliebenen motorischen Reflexe in Nancys Gehirn stimuliert hat. Ganz gleich, ob es eine Vorahnung war oder vielleicht auch nur einfacher Instinkt, der durch den von meinen Medikamenten verursachten Nebel hindurch aufblitzte: Ich wusste genau, was passieren würde, und muss gestehen, dass ich dabei eine gewisse Vorfreude verspürte.
    Gerade als Stegman wieder einmal mit Hilfe des Spatels eine von Nancys Wangen nach außen drückte, um einem weiteren medizinischen Voyeur einen ebenso schamlosen wie gruseligen Einblick in ihre groteske Pathologie zu ermöglichen, schoss Nancys Kopf blitzschnell nach vorn. Mit grässlich verzerrtem Gesicht riss sie den Mund auf und biss, so fest sie nur konnte, in Stegmans nur von einer dünnen Latexhaut geschützte Hand. Entsetzt und freudig erregt zugleich sah ich, dass sich ihre Zähne mindestens so hartnäckig und kraftvoll in seiner Handfläche vergruben wie vor ein paar Tagen in der Baumwollfessel.
    Stegman schrie vor Schmerz laut auf – »Au, AU, AU, AUUUU!« – und versuchte vorsichtig, seine Hand aus Nancys Mund zu ziehen, ohne dabei einen Fetzen Fleisch hinter ihren Schneidezähnen zurückzulassen. Aber damit hob er lediglich ihren Kopf aus den Kissen. Nancys weit aufgerissene Augen röteten sich, während sie ihre Gesichtsmuskeln bis zum Äußersten anspannte, die Kiefer fest zusammenpresste und immer kräftiger zubiss. Unaufhaltsam durchdrangen ihre Zähne die Latexmembran des Handschuhs, Stegmans Haut und schließlich das Fleisch seiner Hand.
    Dunkles Blut quoll aus der Wunde und füllte nach und nach den durchscheinenden Handschuh, bevor es in dünnen Rinnsalen aus den Bisslöchern rann und Nancy über Lippen und Kinn lief. Stegman schrie noch lauter und versuchte abermals, seine Hand zu befreien, womit er jedoch wieder nur Nancys Oberkörper aus dem Kissen hob und ihr Gesicht näher an das seine brachte. Mit einem erneuten Ruck packten ihre klauenartig verkrümmten Hände ihn am Kragen seines Arztkittels und zogen ihn mit der blinden Kraft automatisch ablaufender Motorik immer näher an ihr Gesicht heran. Jetzt, da sie ihn mit Hilfe ihrer Zähne und Klauen vollständig in ihrer Gewalt hatte, geriet Stegman vollends in Panik. Er machte einen Schritt nach hinten, was aber zur Folge hatte, dass er Nancy, die sich immer noch fest an ihn krallte, aus dem Bett über das Seitengitter hob. Stegman taumelte rückwärts, stürzte zu Boden und zog Nancy mit sich. Nancy, die sich noch immer in seiner Hand verbissen hatte, kam direkt auf ihm zu liegen.
    Sie knurrte und nagte und krallte sich mit der erbarmungslosen Heftigkeit unkontrollierter Muskelreflexe an ihn. Dabei glich sie einer ferngesteuerten menschlichen Drohne, die ihr Ziel gefunden hatte.
    Die anderen Ärzte versuchten, Stegman zu helfen, aber es nützte nichts. Jeder Versuch, Nancy von ihm wegzuziehen, ließ ihn aufschreien: »Lasst sie los, verdammt noch mal. Sie reißt mir ja noch die halbe Hand weg.«
    Schließlich eilten Jennifer und Tiffany zu mir herüber und halfen mir aus dem Bett.
    »Mrs. Druse, wir haben

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