Das Tagebuch der Eleanor Druse
hier einen Notfall. Wir bringen Sie hinaus auf den Gang«, sagte Tiffany. »Das Notfallteam wird gleich hier sein und Nancy einer Sonderbehandlung unterziehen, damit sie Dr. Stegmans Hand loslässt.«
Ich konnte es nicht beschwören, aber es war durchaus möglich, dass dabei Schadenfreude in ihren Augen aufblitzte.
RACHE IST SÜSS
Am späten Nachmittag hatte sich die Aufregung gelegt, und ich konnte wieder in mein Bett. Ich hatte die Tablette, die ich am Morgen bekommen hatte, noch nicht genommen und spürte, dass mein Kopf klarer wurde, also nutzte ich die Gelegenheit, um meine letzten Aufzeichnungen noch einmal durchzulesen. Meistens konnte ich mich am nächsten Tag schon nicht mehr erinnern, was ich tags zuvor geschrieben hatte.
Ich fand einen zwei Tage alten Eintrag, der wie folgt lautete:
»Dr. Stegman wirkte bei der Visite angenehm und freundlich.
Er kann sich meinen Namen zwar noch immer nicht merken, aber das liegt wahrscheinlich daran, dass er sich um so viele Patienten kümmern muss. Er arbeitet viel zu viel, aber ich glaube, dass er mir wohl gesinnt ist. Ich muss Claudia unbedingt fragen, ob er wirklich ein schlechter Mensch ist oder einfach nur ein Opfer widriger Umstände.«
Meine letzte Tablette hatte ich gestern Nachmittag eingenommen, so dass sich der Soma-Nebel (wie ich die Auswirkungen des Scyllazins mittlerweile nannte) gelichtet hatte und ich über diese Worte, an deren Niederschrift ich mich nicht erinnern konnte, richtiggehend erschrak. Ich hörte, wie Nancy im Bett nebenan würgte.
Wenn Metzger Wort hielt, dann waren es nur noch drei Tage, bis Bobby mich nach Lewiston zurückbrachte. Vorher musste ich hier noch einige Dinge erledigen, was mir allerdings nicht gelingen würde, wenn ich mir von Medikamenten den Verstand vernebeln ließ und Lobeshymnen auf Typen wie Stegman in mein Tagebuch schrieb.
Also tat ich nur so, als ob ich die nächsten beiden Tabletten geschluckt hätte, und behielt sie so lange im Mund, bis Tiffany oder Jennifer gegangen war. Nach dem Abendessen spülte ich sie in der Toilette runter. Am darauffolgenden Tag machte ich es ebenso.
Es fiel mir nicht schwer, so zu tun, als ob ich noch immer unter dem Einfluss der Medikamente stünde. Ich brauchte einfach nur dazuliegen und zu allem Ja und Amen zu sagen, ganz gleich, was auch geschah. Claudia kam ins Zimmer und erzählte mir, dass Nancy Dr. Stegman ein Stück aus der Handfläche gebissen hatte und die Wunde mit lebensbedrohlichen Bakterien der Gattung Clostridium infiziert sei, dem Erreger einer Krankheit namens Gasbrand. Bisse vom Menschen konnten wesentlich schlimmer sein als die eines jeden Tieres, abgesehen von Giftschlangen und tollwütigen Hunden natürlich. Wie Claudia sagte, seien Wundabstriche von Menschenbissen grundsätzlich polymikrobiell besiedelt: In so einer Wunde kommen im Durchschnitt bis zu fünf verschiedene Krankheitserreger vor. So war es kein Wunder, dass sich innerhalb weniger Stunden an Stegmans Unterarm unter der Haut ein roter Streifen gebildet und sich rasch bis über die Ellbeuge hinaufgezogen hatte. Er bekam hohes Fieber und entwickelte die klassischen Symptome einer Weichteilentzündung.
»Wie schrecklich«, antwortete ich.
»Und dann kam der Geruch«, erzählte Claudia.
»Welcher Geruch?«, fragte ich.
»Fortschreitende Muskelnekrose«, antwortete sie. »Ein fauliger Muskelzerfall. Die Bakterien bewirken, dass unter der Haut ein Gas gebildet wird. Daher der Name Gasbrand. Und am auffälligsten daran ist dieser seltsame Geruch. Es riecht, als äße ein Toter im Ersten Weltkrieg in einem Schützengraben ein Senfgas-Sandwich.«
»Und gibt es ein Heilmittel dagegen?«, fragte ich. Claudias Schadenfreude war deutlich spürbar, da musste ich nicht auch noch mit einstimmen. Sollte Dr. Stegman wegen des Gasbrands tatsächlich einen Arm verlieren, tat er mir fast schon wieder Leid.
»Um die bakterielle Infektion auszuräumen, mussten sie ihm den Arm entlang der Faszien aufschneiden. Jetzt bekommt er intravenös starke Antibiotika verabreicht. Es sieht so aus, als ob sie ihm den Arm erhalten könnten. Leider. Denn dann kann er möglicherweise irgendwann wieder operieren.«
»Der Arme«, sagte ich und bekreuzigte mich, hauptsächlich deshalb, weil mir nichts Besseres einfiel.
»Ja«, antwortete Claudia. »Armer Dr. Stegman. Eigentlich hatte ich gehofft, man würde eine nekrotisierende Fasziitis bei ihm diagnostizieren. Die wird von Keimen verursacht, die in den Boulevardblättern auch als
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