Das Tagebuch der Eleanor Druse
bleiche, runzlige Haut mit den Stielwarzen und Leberflecken, aus denen kleine Härchen sprossen, und all die vielen anderen Dinge, die mir an mir nicht gefielen. Bist du jetzt unter die Hexen gegangen, Sally Druse? Und dann sah ich, wie hinter meinem erleichtert grinsenden Spiegelbild ein Schatten vorüberhuschte, und auf einmal glaubte ich, im Spiegel eine weitere Aufzugkabine sehen zu können, die älter, dunkler und paradoxerweise auch farbenfroher wirkte als jene, in der ich mich gerade befand und die in den für öffentliche Einrichtungen typischen Braun-und Beigetönen gehalten war.
Irgendwie kam es mir so vor, als hätte der Schatten einen feinen Schleier aus halb durchsichtiger Gaze zur Seite gezogen und den Blick auf eine andere Kabine freigegeben, die mit kräftigeren Farben und üppigeren Verzierungen ausgestattet war.
Auf einmal kam es mir so vor, als käme das Schluchzen des Kindes nun aus dem Raum hinter meinem ergrauten Spiegelbild, und ich versuchte, das kleine Mädchen in den Tiefen des Spiegels zu entdecken.
Nun sah ich, dass das Bild dieses Spiegels viel mehr zeigte als nur die Aufzugkabine. An seinem Rand züngelte eine Flamme – eine Fackel vielleicht? –, hinter der sich undeutliche Schatten bewegten. Oder war da ein Gang, in dem eine in einen Umhang mit Kapuze gehüllte Gestalt eine Kerze trug?
Als ich mich umdrehte, um zu sehen, was davon Wirklichkeit war, schienen die Wehklagen des Kindes auf einmal von allen Seiten gleichzeitig zu kommen.
Dann sah ich, wie sich aus dem dichten Schatten in der Tiefe des Spiegels ein kleines Mädchen löste und auf mich zukam.
Es trug ein altes, hinten zugeschnürtes Krankenhausnachthemd aus Baumwolle, das genauso aussah wie die Hemden, die man uns im alten Kingdom gegeben hatte. Das Mädchen war blass und dünn und sah so müde und ausgezehrt aus wie ein Geist aus dem Film »Tanz der toten Seelen«, aber ich erkannte es sofort. Direkt hinter dem Spiegel stand Maddy Kruger. Sie war acht Jahre alt, drei Jahre jünger als ich, und ihr Nachthemd hing an ihr herab wie ein Rupfensack an einer Vogelscheuche.
Dann schaute ich auf meine eigenen Hände, die auf einmal klein, blass und abgemagert waren, und bemerkte, dass auch ich eines dieser alten Krankenhausnachthemden trug. Auch ich war jetzt wieder ein kleines Mädchen und genauso klapperdürr wie Madeline. Seit Tagen hatten wir nur Kraftbrühe und Rotkleetee bekommen, denn wenn wir unsere Hustenanfälle bekamen, brachen wir jede andere Nahrung wieder heraus.
»Maddy!«
Plötzlich konnte ich mich wieder daran erinnern, wie krank wir damals gewesen waren. Das Fieber und den Husten, wie hatte ich das nur vergessen können? Warum hatte ich vergessen, was damals in diesem Krankenhaus passiert war?
Und warum konnte ich mich jetzt auf einmal so mühelos daran erinnern? Gleich hinter dem Glas des Spiegels, dort, wo Maddy stand, sah ich das alte Krankenhaus. Wir hatten Keuchhusten, oder, wie wir es damals kichernd nannten, Seuchhusten.
Jetzt hörten wir beide, wie das kleine Mädchen über uns weinte. Wir schauten nach oben und versuchten, es irgendwo zu entdecken. Dabei bemerkte ich, dass wir uns nun in dem alten, mit Holzpaneelen vertäfelten Aufzug mit Sicherheitsgitter und Haltestangen aus Messing befanden. Es war ein Lift von der Art, die normalerweise mittels eines großen Handhebels von einem uniformierten Liftboy bedient wurde, der auf einem mit rotem Leder gepolsterten Stuhl saß, einen fragte, wohin man wollte, und während der Fahrt verkündete, auf welchem Stockwerk der Fahrstuhl gerade anhielt.
Das kleine Mädchen geisterte irgendwo über uns in diesem Aufzugschacht umher und fand nicht heraus. Es brauchte seine Mama oder jemand anderen, der ihm half.
»Hörst du das, Sally?«, fragte Maddy. »Das ist wieder die Kleine. Sie weint immer noch.«
»Wie heißt sie denn?«, fragte ich. »Hast du herausgefunden, wie sie heißt? Ich glaube, dass sie uns erst antwortet, wenn wir ihren Namen rufen.«
Jemand musste dem Mädchen wehgetan haben, denn es schien so große Angst zu haben, dass es kein Wort mehr herausbrachte und nur noch stöhnte und schrie. Maddy und ich riefen nach ihm, aber es antwortete uns nicht und sagte auch nicht, wo oder wie wir es finden konnten. Es war so verängstigt, dass es sich nur verstecken und schreien konnte.
Maddy sagte, wir müssten nur warten, bis das Mädchen Vertrauen zu uns gefasst habe. Dann würde es uns vielleicht sagen, wie wir ihm helfen konnten. Aber nicht
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