Das Tagebuch der Eleanor Druse
Klappern seiner Instrumente.
Dann klappte er den Stirnspiegel wieder nach oben und starrte mich mit seinen schwarzen Augen an. Hinter ihm an der Wand befand sich eine Schautafel mit einem Schädel, der etwa so groß war wie sein fast kahler Kopf. Eine in einem Gummihandschuh steckende Hand hielt ein Instrument, das mich an eine große Stricknadel erinnerte und unterhalb des Knochens über dem Auge in den Schädel eingeführt wurde.
Ich konnte nicht alle Bezeichnungen auf der Tafel lesen, aber es gab eine Art Überschrift in großen, schwarzen Buchstaben, die aber wegen der Lichtspiegelungen auf dem glänzenden Karton nur schwer zu entziffern waren. Stand dort vielleicht TRANSPORT ITALIEN LOKOMOTIVE?
Ziemlich merkwürdig für eine Tafel im Behandlungszimmer eines Arztes. Was sollte denn nach Italien transportiert werden? Und wieso mit einer Lokomotive? Ich versuchte, meinen Kopf so zu drehen, dass keine Spiegelung mehr über den Buchstaben war, aber ich konnte nicht an Dr. Gottreich vorbeisehen. Ich bemühte mich, nicht daran zu denken, dass sein kahler Kopf dem Totenschädel auf der Tafel ziemlich ähnlich sah, denn ich hatte Angst davor, dass er seinen Spiegel wieder herunterklappte und mit seinem schwarzen Zyklopenauge meine Gedanken las.
»Was haben Sie denn gesehen, das Ihnen nicht gefällt?«, fragte ich ihn. »Habe ich eine schlimme Krankheit?«
Er klappte den Spiegel wieder herunter und beäugte mich eindringlich.
»Nein, du bist nicht krank«, sagte er. »Nur manchmal sehr unartig, nicht wahr? So, wie deine Mommy es mir erzählt hat.«
Die glänzende Schüssel war jetzt so nahe an meinem Gesicht und seine Stimme klang so seltsam, als würde sein Auge mit mir sprechen. Ich bekam große Angst.
Verzweifelt versuchte ich, mich daran zu erinnern, wann ich unartig gewesen war. Es musste so schlimm gewesen sein, dass meine Mutter es nicht gewagt hatte, mich darauf anzusprechen. Das, was ich getan hatte, musste so böse und beschämend gewesen sein, dass sie sofort zum Doktor gegangen war und ihn gefragt hatte, was man dagegen tun könnte.
Ich glaubte Dr. Gottreich natürlich jedes Wort, weil ich mir zwar vorstellen konnte, dass ein böser Mensch aus irgendeinem Grund ein Kind absichtlich anlog, aber bei einem Arzt war das etwas anderes. In meiner kindlichen Sicht der Welt kam der Onkel Doktor in der Vertrauensskala gleich hinter meinen Eltern, den Engeln und Heiligen, Elsa und Pa Bear. Ärzte gehörten für uns ähnlich wie Pfarrer und Priester zu den Erwachsenen, die über ganz spezielle Kräfte verfügten und immer freundlich zu uns Kindern waren.
Meine Mutter hatte mich schon öfter vor bösen Männern gewarnt, die mich möglicherweise anfassen wollten oder von mir verlangten, dass ich sie anfasste. Dabei wirkte sie immer so ernst und kalt und furchtbar, als hätte ich bereits etwas Schlimmes getan. Sie schärfte mir ein, dass ich, wenn jemals jemand so etwas von mir verlangte, unbedingt Nein sagen müsste. Und dann sollte ich so schnell wie möglich weglaufen, weil in diesen bösen Männern der Teufel selber war. »›Der böse Feind in seiner eigenen Gestalt ist weniger schrecklich, als wenn er in der Brust des Menschen rast‹«, hatte sie gesagt.
Anfassen durften mich nur meine Eltern und der Onkel Doktor.
Für Ärzte galten anscheinend andere Regeln als für andere Erwachsene. Ärzte durften gewisse Dinge sagen oder tun, weil sie alle Geheimnisse des menschlichen Körpers und Geistes kannten. Und sie hatten einen Eid geschworen, die Menschen zu heilen, und deshalb durften nur Priester und Ärzte mit mir so reden, wie Gottreich es jetzt tat. Darüber, ob man gut war.
Oder böse.
Was hatte ich bloß getan? Was waren das für schlimme Sachen, von denen meine Mutter dem Doktor erzählt hatte?
Ich traute mich nicht, ihn danach zu fragen. Was, wenn er mir mit dem Stirnspiegel in die Augen schaute und mir eine schreckliche Untat nannte, die ich schon wieder vergessen hatte? Oder eine, bei der ich dachte, ich wäre allein, und heimlich von meiner Mom beobachtet wurde? Oder – noch schlimmer – vielleicht würde Dr. Gottreich mir ein widerwärtiges Geheimnis aus einem meiner Alb- oder Tagträume zuflüstern, etwas, das so widerwärtig war, dass ich es aus meinem Gedächtnis getilgt hatte? Was wäre, wenn Dr. Gottreich meine halb ausgegorenen bösen Fantasien kannte, die eingebildeten Taten, die ich mir manchmal in schillernden Farben ausmalte und deren Vorstellung ich genoss, auch wenn ich sie
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