Das Tagebuch der Eleanor Druse
würde sich fragen: Habe ich wirklich eine Stimme gehört?
Oder war es nicht doch etwas anderes? Ich brauchte also einen Hörtest, um auszuschließen, dass ich wieder an einem Tinnitus litt. Falls dieser Test negativ ausfiel, wäre das wenigstens ein Beweis dafür, dass das Wehklagen, das ich in Aufzug 2 und in der Nacht von Madelines Tod so deutlich gehört hatte, zumindest kein Ohrensausen gewesen war. Als Nächstes brauchte ich einen professionellen Tontechniker, der sich das Band aus dem Diktiergerät anhörte. Denn selbst wenn ich Dr. Massingale davon überzeugen konnte, dass meine »Attacken«
etwas anderes waren als epileptische Anfälle, blieb immer noch die Frage offen: War die Stimme des kleinen Mädchens ein »echtes« akustisches Phänomen? Konnte ein verwirrter und verängstigter Geist, der irgendwo zwischen Leben und Tod gefangen war, überhaupt Töne erzeugen? Vielleicht war ihr Weinen ein echtes Geräusch, das vom menschlichen Ohr nur nicht wahrgenommen werden konnte. Nur professionelle Audiologen und Tontechniker konnten diese Fragen beantworten, und Dr. Massingale war die Einzige, die eine solche Untersuchung in Verbindung mit einem Test meines Gehörs anordnen konnte.
Ich muss sagen, dass sie allen meinen Bitten nachkam, auch wenn sie es vielleicht nur deshalb tat, weil meine Krankenversicherung die Untersuchungen bezahlte. Außerdem ließ sie sich darauf ein, dem Phänomen der imaginären Stimme systematisch nachzugehen. Das Band wurde an einen Tontechniker geschickt, und ich bekam einen Termin bei Dr.
Marcia Limen, der Gehörspezialistin des Krankenhauses, die mich in eine Audiometriekabine führte und mir etwa eine halbe Stunde lang über einen Kopfhörer Töne vorspielte.
Danach wollte ich natürlich sofort das Testergebnis erfahren, aber Dr. Limen wehrte kühl ab. Ich würde es zusammen mit allen anderen möglichen Erkenntnissen über mysteriöse akustische Phänomene, die sie im Verlauf der Untersuchung in der Audiometriekabine gewonnen hatte, von meiner behandelnden Ärztin mitgeteilt bekommen, und zwar höchstwahrscheinlich auf dem bevorstehenden Sally-Druse-Gipfeltreffen.
TRANSPORT ITALIEN LOKOMOTIVE
Ich ging zurück in mein Zimmer und wartete auf das Urteil, das der Krankenhausklüngel nach seinen weitschweifigen Untersuchungen über mich fällen würde. Wer kam überhaupt für diese ganzen Untersuchungen auf? Die Studenten am Faust College? Die Steuerzahler? Die Krankenversicherungen? Wer bekam die Rechnung für die unstillbare Lust dieser Mediziner präsentiert, jedes einzelne Molekül in meinem Körper einer eingehenden Prüfung zu unterziehen und es auf seine Relevanz für einen epileptischen Anfall abzuklopfen?
Dieses Rätsel wird vermutlich erst lange nach meinem Tod gelöst werden. Auf jeden Fall nahm ich mir vor, in meinem Testament zu verfügen, dass Bobby diesen Leuten nicht einen Cent bezahlen soll, und wenn er dafür aus dieser Stadt verschwinden muss.
Ich nutzte die Zeit bis zur Urteilsverkündung, um mit meinen Nachforschungen fortzufahren. Bobby hatte Hilda Krugers Mappe auf meinen Nachttisch gelegt, und nun suchte ich darin nach den Zeitungsartikeln, die mir im Aufzug in den Schoß geglitten waren.
»Zwei Tote bei Krankenhausbrand« hatte die alte Daily Sun am 3. November 1939 getitelt und von dem Feuer berichtet, das tags zuvor, an Allerseelen, im Gottreich Hospital vermutlich aufgrund einer Ätherexplosion in einem Kellerlabor ausgebrochen war. Des Weiteren berichtete der Artikel, dass Dr. Ebenezer Gottreich in den Flammen umgekommen sei. Der berühmte Arzt sei nach seinem Onkel benannt gewesen, der während des amerikanischen Bürgerkriegs auf dem Gelände der abgebrannten Klinik eine Textilfabrik mit Namen Gates Falls Textile Mill betrieben hatte. Zusammen mit Gottreich war auch einer seiner Patienten bei dem Brand ums Leben gekommen, ein 15 Jahre alter jugendlicher Straftäter mit Namen Paul Morlock, den Dr. Gottreich wegen gewalttätigen Verhaltens mit Reizentzug behandelt und in einen Tank mit Salzlösung gesperrt hatte, der in einem Raum neben Dr. Gottreichs Kellerlabor stand. In diesem Tank hatte der Junge sich befunden, als das Feuer ausgebrochen war. Ebenso wie sein Arzt hatte er nicht rechtzeitig fliehen können.
Die anderen Patienten und Mitarbeiter des Krankenhauses hatten sich dem Artikel zufolge nur deshalb in Sicherheit bringen können, weil das Läuten einer Glocke und das Weinen eines Kindes sie auf den Ausbruch des Feuers aufmerksam gemacht
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